Sonntag, 17. November 2013

Retro-Reisebericht: Erzgebirge 1994 - Ostalgie und polit. Bildung

Erzgebirge, September 1994
Ostalgie und zeitpolitische Erkenntnisse


Über diesen lang zurückliegenden „Schulausflug“ berichte ich heute, weil es mir Gelegenheit gibt:
Fotos einer Zugfahrt mit einer Dampflok zu posten
kurz von Hin- und Rückfahrt zu berichten
UND: den Inhalt eines Vortrags zur politischen Bildung wiederzugeben, der mein Weltbild bis heute nachhaltig verändert hatte.


Außerdem hatte ich die Fotos ausgegraben und eingescannt.

Die Hinfahrt ist schnell erzählt:
Der Bus fuhr durch die Tschechische Republik, auf der E48/E442, durch die Orte. In jedem Ort standen die Frauen des Orts, in schwarzen Kleidern, auf der Straße.
(Vergleich 2011: Eine Umgehungsstraße führt um die Orte herum, die Regierung brachte außerdem Prostitution von der Straße).
Zwischen den Orten war es herrlich grün.
Die Gegend um den Grenzübergang beeindruckte mit totem Wald auf den Hügeln, zu beiden Seiten der Grenze.

Auf der Rückfahrt gab es übrigens Pizza in Karlsbad (Karlovy Vary, CZ), für etwa 3,-DM (Mit Ketchup statt Tomatenmark). 


Natürlich hat sich Tschechien unheimlich entwickelt und ist immer eine Reise wert. Hier ein paar Bilder von Karlovy Vary: 





Dampfzug fahren:
Der Bus brachte uns vom Hotel „im Grünen“ (das Leitungswasser hatte rostige Farbe, die durch Laufenlassen des Wassers nur weniger, aber nicht durchsichtig wurde) zu einem Tagesausflug nach Dresden.
Flo traf eine Bekannte, die er in Irland ( http://wortlaterne.blogspot.de/2012/04/retro-reisebericht-irland-1994.html ) kennengelernt hatte. Wir blieben abends länger, wollten den Zug zurück nehmen.
So gegen 20:00 nahmen Claus und ich die S-Bahn nach Freital (bei Dresden), und stiegen um in den DAMPFZUG nach Dippoldiswalde bzw. Kipsdorf, mit einem normalen Ticket des ÖPNV. Die Fahrt ging etwa 1,5-2h, der Fußmarsch danach dauerte etwa nochmals so lange. Bilder dieser Fahrt setze ich an den Schluss.

Die Weißeritztalbahn fährt übrigens noch heute.:
http://www.weisseritztalbahn.de/









Der Vortrag zur politischen Bildung:
„Was vor dem Mauerfall hinter den Kulissen passierte“


Die Erkenntnisse sind aus Dokumenten aus DDR-Archiven zusammengesetzt – ich versuche den Inhalt möglichst genau wiederzugeben). Also:

Im Jahre 1980 taten sich führende KGB-Offiziere zusammen, zur Kommandogruppe „светово́й луч“ – Lichtstrahl. Ihr Ziel: „Den Sozialismus der Sowjetunion in die Zukunft zu retten.“

Wer Diplomaten kennt, weiß, dass sie viel mit dem sagen, was sie nicht sagen. Heißt: Man muss auf die Auslassungen achten.
Doch der Reihe nach.
Ihr politischer Kandidat war M. Gorbatschow. Er wurde 1985 zum Generalsekretär des Zentralkomitess der KPdSU gewählt. Schon bald kamen Glasnost und Perestroika. Schon bald war die Rede vom „Bau eines neuen europäischen Hauses“, an dem die Sowjetunion mitbauen wolle.

Eine Delegation kam nach Bonn, um sich bei Regierung und Opposition zur Haltung der im Grundgesetz beschriebenen deutschen Einheit zu erkundigen.

Zur Diplomatie: der Begriff „Sozialismus der Sowjetunion“ lässt die Ostblockländer aus. Die Länder des Warschauer Pakts konnten ihre Staatsform selbst wählen. Moskau interessierte sich also nicht mehr wirklich für sie.
Offensichtlich wurde das (erst) um 1989. Polen führte freie Wahlen durch, Ungarn reduzierte die Zahl der Grenzwachen zu Österreich, ließ DDR-Bürger aus der bundesdeutschen Botschaft ausreisen. Die Anfrage in Moskau brachte folgende Antwort: "Wenn ihr das für richtig haltet, dann macht das."

In der DDR demonstrierten die Bürger. Die Staatsführung frägt in Moskau an, was zu tun sei. Antwort: keine.

Moskau verhandelte lieber mit Bonn (über deutsche Themen), bzw mit der EU in Brüssel (über europäische Belange). Moskau konnte bzw. wollte den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Die MOEs (Mittel-Ost-Europäischen Länder) streben der EU zu, die DDR wird sich mit der BRD wiedervereinigen – also richtet man seine Politik gleich darauf aus, und sieht zu, davon profitieren zu können.

Die Russen sind also nicht nur gute Strategen -und Schachspieler-, sondern planten auch ihre Zukunft strategisch.
In der Folgezeit flossen viele Hilfszahlungen nach Russland. Und Putin (Ex-KGB-Mann!) klopft bis heute regelmäßig an, mit Vorschlägen z.B. zur Opel-Rettung, oder eines gemeinsamen Marktes. Dabei wird Deutschland immer wieder eine besondere Rolle zugespielt

Und über den Ausdruck „in die Zukunft retten“ lohnen sich Nachforschungen. Um 1980/81 steckten viele Länder in einer Wirtschaftskrise, im Osten gab es Demonstrationen und Flüchtlinge in bundesdeutschen Botschaften.
Die Sowjetunion konnte den Warschauer Pakt nicht mehr stützen, die DDR war ein Klotz am Bein, und Fortschritte in Technologie und Globalisierung drohten die Sowjetunion in die Pleite zu treiben. Sie traten also entschlossen an, um Ostblockländer und v.a. DDR gewinnbringend loszuwerden, und den Schritt in die Zukunft nicht zu verpassen.

Heute kann man die Geschichte im Internet nachlesen (z.B. auf Wikipedia). Doch dass damals die Geheimdienstspitze die Entwicklung voraus dachte, finde ich nach wie vor sehr bermerkenswert.
Dem KGB ist es also zu verdanken, dass der Umbruch 1989 unblutig verlief. Große Ausnahme war Rumänien, aber dort konnte der KGB nicht Fuß fassen.

Doch Auslöser des Umbruchs in der DDR bleibt natürlich der wagemutige Einsatz der Montags-Demonstranten, also des Volkes, der die ganze SED-Diktatur zum Einsturz brachte.

Soviel zur Politik (bzw. den Möglichkeiten strategischer Planung).
Den ganzen „Törn“ gab es übrigens für eine Schutzgebühr von 40 DM.

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Hier kommen noch ein paar Links zu Musik aus dieser Zeit.
„Bobo in white wooden houses“ waren eine bekannte Pop-Rock-Band in dieser Zeit, aus Weimar bzw. Gräfenhainichen. In diesen Clips sieht man Bilder von damals:

Bobo in white wooden houses „these words behind“
http://www.youtube.com/watch?v=fRLENKiCKOA

Bobo in white wooden houses „I don‘t know“
http://www.youtube.com/watch?v=9sg1Evp30gM


Was mir literarisch damals zur Bahnfahrt einfiel sieht man hier:
http://www.flosenart.de/wortlaterne/index.php?section=leseproben&projid=3&lpid=8
http://www.flosenart.de/wortlaterne/index.php?section=leseproben&projid=3&lpid=10
http://www.flosenart.de/wortlaterne/index.php?section=leseproben&projid=3&lpid=13


Und wer bis hier gescrollt hat, und wissen will, welche Musik ich damals gehört habe:
(The Inchtabokatables aus Berlin (Ost) bzw. Potsdam, 1. Geige und Cello mit klassischer Ausbildung): 

"Wars only wars":
http://www.youtube.com/watch?v=GCh6c8oUCO0  

"Hoywoi"
http://www.youtube.com/watch?v=ZuGaSnXLIlk

(„und Pyros will ich auch!“)
Ihr bekanntester Song ist übrigens „Tomatenfisch“ (kein Link hierzu)

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