Juli 2000
ZITAT
„Bleiben Sie nicht zu lange – sonst kommen Sie nicht mehr weg.“
Unbekannt
Afrika gilt als die Wiege der Menschheit.
Gibt es hier altüberllieferte Geheimnisse, die bei uns verlorengegangen sind? Ich mache mich auf, es herauszufinden.
Damals hatte ich Urlaub übrig, und Geld auch – und wollte schon lange in einer Wüste sein, und in Afrika.
Die Tour war nicht so teuer (2.800 DM), ich musste unterschreiben, dass sie Expeditionscharakter hat, und mich zur Mithilfe verpflichten, z.B. beim Reifenwechsel etc. Das schreckte wohl Viele ab, denn die eigentlich gewünschte Tour fiel aus. Vier Wochen später musste die nächste Tour also stattfinden, mit 6 Leuten. Und da auch sie vor einer „Expedition“ nicht zurückschreckten, waren sie entsprechend gut drauf.
Ein 12-Stunden-Flug brachte mich über Nacht von Frankfurt nach Windhoek. Petra, Namibiadeutsche und Reiseleiterin, holte uns mit einem VW-Bus ab. Erste Einkäufe, z.B. Briefmarken (damals schrieb man noch Postkarten) – und die Erkenntnis: Schwarze bewegen sich lässiger, haben mehr Geduld und sind herzlicher als ein Durchschnitts-Europäer.
Wir fuhren dann gleich aufs Land, hatten Zeit zum aklimatisieren. Erstmal hinlegen! Das geht so: durch das Moskitonetz schlüpfen, das von einem Haken in der Decke herunter wallert und bis zum Boden hängt. Lüften? Das Fenster im weißen Holzrahmen hochschieben und schauen, dass es irgendwie hält. Ah, besser jetzt!
Ein Spaziergang? Der „Wald“ heißt hier „Savanne“, die Bäume sind ca. 3-5m hoch; Laubbäume mit weit ausragenden Kronen, am Boden wachsen Grasbüschel, gelb, trocken, und ca. 1m hoch. Die Savanne ist Heimat für Kudus, Oryx-Antilopen, Zebras, Schildraben, Giraffen und vielen Tieren mehr. Tiger, Elefanten und Nashörner gibt es auch, aber nicht überall, eigentlich nur in Nationalparks.
Zum Abendessen gibt es das „Nationalgericht“ Grillfleisch: Kudu, Oryx, oder Rindfleisch, mit Pommes, Kartoffeln oder Reis. Dazu ein kühles Bier nach deutscher Brautradition.
Das weiße Namibia
Namibia war von 1848 bis 1915 deutsche Kolonie (Deutsch Südwest-Afrika). Doch die Deutschen waren nur punktuell vertreten. Ihre Nachfahren konzentrieren sich auf Swakopmund, Windhoek und das Farmland.
Von 1920 bis 1994 wurde das Land vom Nachbarn Südafrika verwaltet, das wiederum eine britische Kolonie war. Offizielle Amtssprache ist Englisch, als Verkehrssprache wird gern Afrikaans benutzt. Währung ist der Namibia-Dollar, der 1:1 dem südafrikanischen Rand entspricht (der überall akzeptiert wird).
Petra spricht fließend und akzentfrei deutsch, ist aber Namibierin. Sie erzählt von einer Reise nach Deutschland, Schikane auf dem Konsulat, bis sie ihr Visum bekam; und ihrer Enttäuschung über unseren Wald – der nicht so toll ist, wie wir immer tun. Ihr Herz gehört eben der Savanne.
Weitere Unterschiede: in Deutschland entstehen Slang-Wörter. Das macht es ihr manchmal schwer zu folgen. In Namibia hat sich die deutsche Sprache nämlich kaum entwickelt (übrigens haben auch Engländer, die lange im Ausland gelebt haben, Angst zuhause nichts mehr zu verstehen).
Kleines Beispiel: Synonyme für ZIGARETTE
Namibia: Glimmstengel
Deutschland: Kippe, Fluppe, Eine-zum-kwarzen, uvm.
Doch dafür bilden sich in Namibia eigene Wörter, meist in Wechselwirkung mit Afrikaans.
Eine Auswahl gibt es z.B. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Sprache_in_Namibia
Die Tour beginnt am nächsten Morgen.
Wir fahren durch leeres und flaches Land, Halbwüste, außer dem Highway nicht viel los. Man fährt links.
An einem „Straßencafé“ halten wir. Hier stehen ein paar Peterbilt-Trucks, hier macht man gerne Rast. Für uns ist es eine „fremde Welt“: An der Wand hängt ein Stick-Tuch, mit einem roten Hahn, und der Inschrift „Guten Morgen“ in gebrochener Schrift. Auf den Tischen liegen Glasplatten, darunter grobmaschige Strickdecken. Alles wie bei Oma! Das war wohl der „Kultur-Import“ damals, an den man sich klammert?
Ich hole mir Krapfen und Mohnschnecke zum Kaffee (alles wie zuhause), und unterhalte mich mit der Betreiberin. Sie ist Deutsche, aus Berlin, die das Café geerbt hatte, und „nur zum schauen“ kam („Bleiben Sie nicht zu lange, sonst kommen Sie nicht mehr weg“.) Nach langem Überlegen wanderte sie aus und übernahm den Laden. Sie hatte es nie bereut.
Safari
Im Etoscha-Nationalpark fährt man auf Safari, dazu gibt es ihn. Immer wieder laufen Zebras, Giraffen und Antilopen über die Straße. Elefanten sieht man um das „Wasserloch-für-Elefanten“. Und auch Löwen sehen wir unterwegs. Hier ist das Afrika aus den Bilderbüchern.
Ach ja: das stärkste Tier der Savanne, u.a. mit dem kräftigsten Gebiss, ist ... errät es jemand? ... die Hyäne. Da wir sie aber nicht so sympathisch finden, räumen wir diesen Rang dem (in etwa ebenbürtigen) Löwen ein.
Spätabends machen wir eine Extrarunde, zum „Wasserloch-der-Nashörner“ (Okoukuejo). Ich zünde meine Räucher-Spirale im Zimmer an, sprühe mich mit Mückenspray ein, ziehe meine helle und vor allem langärmlige Safari-Klamotten an, und komme mit. Am Wasserloch sind Scheinwerfer aufgebaut, Mücken fliegen herum. Ich rauche Kette, der Qualm hält die Moskitos ab. Aber ich übertreibe – die Meisten sitzen in kurzen Klamotten herum.
Natürlich schlucke ich brav meine Malaria-Prophylaxe, wie jeder hier. Aber Namibia gilt in Sachen Malaria als „grenzwertig“, also fast als ausgerottet.
Tatsächlich kommen die Nashörner!
In meiner Hütte bin ich nicht allein. Geckos laufen Wände und Decke ab. Sie sind bunt, irgendwie putzig, und bewegen sich lautlos. Mit ihrer langen Zunge fangen sie Moskitos.
Springböcke |
Der Elefant ganz rechts muss Schmiere stehen |
On the road
Das Farmland besteht aus gelben Grashalmen, ca. 1m hoch, auf dem Rinder herumlaufen. Der Boden ist zu karg für Obst oder Gemüse, also bleibt nur Rind. Die Tiere laufen herum und fressen, bis sie satt sind.
Rindfleisch ist hier sehr zart, frisch und superlecker. Obst und Gemüse kommen aus Südafrika.
Juni und Juli sind Winter auf der Südhalbkugel. Tags hat es um die 25°C, nachts runter bis 3°C. Das Farmland liegt auf ca. 1.000 Höhenmetern.
Doch plötzlich kommt der Bruch. In steilen Serpentinen geht es ungefähr 600m hinab, die Bruchkante führt ins Tiefland und an die Küste.
Wir kommen nach Swakopmund, am Südatlantik. Die gelbe Neo-Barockkirche der Lutherischen Gemeinde sieht nach Süddeutschland (der Architekt war aus Bayern) aus, Altbaufassaden (des Hohenzollernhauses) nach Berlin, Fachwerkhäuser eher rheinisch. Dazwischen stehen knallbunte Häuser neueren Baujahrs. Auf mich wirkt es eher wie eine Disney-Kulisse, denn nach Heimat. Aber genau diese schrille Mischung macht den Reiz aus. Während die Anderen auf Shopping-Tour sind, sitze ich im „Lighthouse“, einem (englisch inspirierten) Pub mit Meerblick, und teste Castle-Lager aus Südafrika.
Der Strand ist voll mit Jugend, hauptsächlich Schwarze (klar, die Weißen machen nur 1/5 der Bevölkerung aus). Und wiederum kommen sie mir freundlicher und glücklicher vor.
Abends stehen wir alle am Meer und gaffen hinaus, es hat jetzt auch um die 20°C Nachttemperatur. Die einheimischen Gäste fehlen im Winter, es ist „Saure-Gurken-Zeit“. Sie kommen im Sommer, zum abkühlen.
in Swakopmund |
Das Lighthouse Pub, Swakopmund |
Ab in die Wüste!
Ein Tal entlang führt die Straße in die Sandwelt. Zuvor fuhren wir durch zerfurchtes Flachland, das zwar als Wüste zählt, aber nicht unseren Vorstellungen von ihr entspricht.
Die Namib reicht übrigens bis ans Meer heran. Eine kalte Meeresströmung von der Antarktis (der Benguela-Strom), die sogar Pinguine mitbringt, kühlt die Wolken, so dass sie sich schon auf dem Meer abregnen.
Höchstens Nebel kriecht vom Meer herein. So kommt es, dass man immer wieder Pflanzen in der Wüste sieht, die sich rein von Nebel ernähren. Die bekannteste ist die Welwitschia, mit ihren langen Blättern. Nicht selten werden die Pflanzen mehrere hundert Jahre alt.
Und plötzlich sind wir mittendrin! Dünen türmen sich auf.
Düne 45 ist der Pflichtbesuch (45 km vom „Eingang“). Wir steigen am Kamm hoch, unterschiedlich schnell. Von likns pfeift Wind, bläst den Sand nach rechts, auf die „Lee-Seite“. So wandert die Düne. Ich steige auf der Lee-Seite hinab. Und bewege mich wie in Zeitlupe – der Sand bremst meine Bewegungen.
Ich setze mich hin, und lasse es wirken. Ich höre: nichts! Der Sand schluckt den ganzen Schall.
Ich schaue über die Dünenwelt. Und stelle mir vor, was sich in den letzten 2000 Jahren hier geändert hat. Diese Düne war vielleicht hundert Meter mehr dort, und diese hier ...
Unten wuseln die Touristen, halten an, posieren, knipsen, fahren weiter.
Ich stelle mir vor, wie sich die Menschheit in den letzten 2000 Jahren verändert hat. Mächtige setzen sich durch, doch im Zeitraffer (damit man die Wanderbewegung der Dünen zum Vergleich hat, also rein imaginär) kann ich sie von hier oben gar nicht wahrnehmen, schon sind sie wieder weg. Reiche wachsen, dehnen sich aus, verdrängen andere Reiche, zerfallen, werden geteilt, bringen neue Länder hervor.
Und wieder kamen neue Menschen, neue Herrscher, neue Kriege, alles wird ganz großartig – und wieder sind sie stolz und bedeutend. Doch was bleibt von ihnen?
Während der Wind weiter die Dünen umschichtet, in einem ewigen Spiel, neben dem wir lächerlich aussehen? Auf einmal kam mir die Menschheit so klein und unbedeutend vor ...
Am Sossusvlei ist Wasser im See, die Bäume an seinem Ufer stehen grün. Es ist ein herrlicher Anblick: ein See in der Dünenwelt.
Das schwarze Namibia
Von Petra hatten wir von der Lebensweise der Schwarzen erfahren. Die sieht in etwa so aus:
Man wohnt in einer Lehmhütte. In deren Mitte brennt ein Feuer.
Feuer ist: Wärme, Licht, Kochstelle, und Qualm gegen Moskitos.
Die Hütte steht dort, wo die Rinder grasen – von denen man lebt. Zieht die Herde weiter, zieht man hinterher, baut woanders ein neues Haus.
Reichtümer, Familienschätze oder ein „repräsentatives“ Haus sind also fehl am Platz und bedeuten ihnen nichts.
Muss man wohin fahren (und hat kein Auto), setzt man sich an die Straße und wartet. Nachts macht man ein Lagerfeuer. Andere gesellen sich dazu, und man palavert. Irgendwann hält ein Auto – wenn nicht heute, dann morgen ...
Es heißt, Afrika sei die Wiege der Menschheit. Kann man hier auch das Wesentliche des Menschseins wiederfinden?
Mir kam es so vor, als hätten die wesentlichen Dinge des Lebens mehr Raum bei ihnen. Man braucht eine Bleibe, sauberes Trinkwasser, genug zu essen, Gemeinschaft mit anderen Menschen. Man muss auch wissen, wenn es genug ist. Sich für seine Welt interessieren, und an den kleinen Dingen freuen können.
Die „weißen Werte“, wie Reichtum, Erfolg und Ruhm, kamen mir so unbedeutend vor.
Eine große Bindung zu den wirklich wichtigen Aspekten des Lebens, so gut wie keine Bindung zu den unwichtigen – ist das der Ursprung der Menschheit?
NACHKLANG (Kulturschock)
Das Flugzeug spuckt mich in Frankfurt aus. Im ICE döse ich vor mich hin, freue mich auf Döner in München um 12 Uhr. Es ist ein Montag Vormittag. Wer fährt um diese Zeit mit dem ICE? Genau: Geschäftsleute! Kühl und in grauen Anzügen, spielen sie am Handy, oder lesen Zeitung – den Börsen- und Wirtschaftsteil.
Ein Sturm muss über Deutschland hinweggefegt sein. Überall liegen abgerissene Äste herum. Und dann die Durchsage: wegen Oberleitungsschaden verspäten wir uns um 30 Minuten.
Ich denke mir: okay, Döner um 12:30 (klar, ich bin ja noch in Urlaub).
Um mich herum entwickelt sich nervöser Aktionismus. Jeder ruft irgendjemanden an. „Ich bin jetzt zwischen ... und ... Unser Business-Termin ... ich komme 30 Minuten später ...“ Es war eine äußerst wichtige Angelegenheit.
Danach ging es wieder um Aktienkurse – also den virtuellen Reichtum irgendwelchen Papiers, in einem abgeschlossenen, abstrakten System ...
Jetzt hatte ich meinen Kulturschock.
Natürlich mache ich es genauso, keine Frage. Nur damals war es für mich ein harter Kontrast.
Vielleicht bin ich gerade noch rechtzeitig aus Afrika zurückgekehrt (nach 2 Wochen?). Hätte ich sonst nicht mehr in den Alltagstrott zurückgefunden?
„Bleiben Sie nicht zu lange – sonst kommen Sie nicht mehr weg.“
Schlußbemerkung:
ein paar Sehenswürdigkeiten hatte ich im Bericht ausgelassen. Zum einen erinnere ich mich nicht mehr an alles, zum anderen wollte ich den Unterschied zwischen weißer und schwarzer Welt herausarbeiten.
Schlußbemerkung 2:
Natürlich können Schwarze genauso Ruhm und Reichtum erreichen. Es liegt nicht an den Menschen, sondern wohl eher am Kulturkreis, in dem sie aufwachsen.
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Eine Runde „so geht“:
auf einer Farm übernachten (für Selberfahrer):
auf den Hof fahren und hupen. Ja, hupen. Die Leute sind ja bei der Arbeit, und bemerken einen nicht gleich. Da sie aber zu einem guten Teil vom Tourismus leben, sind sie froh über Besucher. Abends wird dort i.d.R. gegrillt (zum "Essen fahren" wäre eh nicht möglich).
VISUM
bei Anreise.
IMPFUNG
wer in den Etoscha-NP will, dem wird Malaria-Prophylaxe empfohlen. Sind Tabletten, die man ein paar Tage vorher anfängt zu nehmen, bis ein paar Tage nach Rückkehr.
Reiseveranstalter: Lernidee Reisen, Berlin
KLANGKISTE
Wer Namibia-Deutsch hören will, kann Hitradio Namibia suchen und hören, z.B. hier:
Hitradio Namibia:
http://www.surfmusik.de/radio/hitradio-namibia,15952.html
Ladysmith Black Mambazo
Ein A-Cappella Chor aus Südafrika.
Lief in einem Restaurant, das ein Deutschstämmiger führte, und versetzte meine Mitreisenden in Verzückung:
http://www.youtube.com/watch?v=28VafAxaHpM
Vieux Farka Touré:
stammt aus Mali, seine Musik wird als „Wüsten-Blues“ beschrieben.
Für mich einer der unterschätztesten Musiker derzeit:
http://www.youtube.com/watch?v=oMpVCa_Qgpk
Was ich immer höre:
Auf iTunes:
Afriki Djigui Theatri
(Ein Stream aus Frankreich, der nur afrikanische Musik sendet, ohne Werbung, ohne Nachrichten. Kommt aus Marseille, ein afrik. Theater sendet, der großen Nachfrage wegen, Musik die ihnen gefällt).
http://www.djigui.org/
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