Leseprobe
„Gemütlichkeit in der Taverne, während draußen ein Sturm losbricht“
1
Das Licht der sinkenden Sonne taucht die Welt in rotgelbes Licht. Eine warme Sommerbrise raschelt durch die Blätter der Bäume, lässt Äste vor der großen Fensterfront hin und her tanzen. Schwalben fliegen emsig umher, die Sirene eines Rettungsfahrzeugs dringt aus der Ferne, durch die offenen Türen, ins Restaurant. Die meisten Gäste sitzen auf der Terrasse, genießen Gyros oder Souvlaki unter Sonnenschirmen.
Alois sitzt drinnen und bekommt ein weiteres Bier serviert. Er sitzt oft an diesem Tisch, genießt die gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre aus gebeizten Holzmöbeln, bunten Kissen auf den Bänken, schwarzen Regalen mit Lichtern in den Fächern, die als Raumteiler dienen; und großen Leuchtern, die von der Decke hängen. Ihm gefällt die moderne Einrichtung, sie passt zu den großen Fensterfronten.
Ägidius, der Kellner, kennt ihn schon lange, Alois verbringt mehrmals die Woche seine Abende hier, trinkt ein Bier nach dem anderen, gehört schon zum Inventar.
Alois kennt die Tätowierung auf dem Unterarm des Kellners, und seine Geschichte. Ägidius war in ein Mädchen verliebt gewesen, hatte sich ihren Namen tätowieren lassen. Nach der Trennung, die sehr schmerzhaft für ihn gewesen war, hatte sie sich in einen anderen jungen Mann verliebt, und diesen geheiratet. Es klang so, als seien Ägidius und er Erzrivalen gewesen. Ägidius hatte den Namen durchstreichen lassen, was zu einem hässlichen Fleck führte, den er für immer auf der Haut trägt. Vor vielen Jahren, zum Ladenschluss, trank er Wein mit Alois, erzählte ihm diese Geschichte.
Ägidius sieht nach den Gästen auf der Terrasse, Alois träumt vor sich hin.
Außer ihm sitzt nur ein Pärchen drinnen, am Ende des Raumes, an der Fensterfront. Sie reden nicht viel, scheinen sich auch ohne viele Worte zu verstehen. Immer wieder amüsieren sie sich leise, inspirieren sich gegenseitig, oder schauen aus dem Fenster. Sie sind schon lange zusammen, das ist für Alois offensichtlich. Am Anfang einer Beziehung legt man sich ins Zeug, will den Partner beeindrucken. Mit den Jahren entsteht tiefes Vertrauen, das nicht viele Worte braucht.
Die dunklen Wolken zeigen sich noch immer mit gelber Färbung, obwohl das Tageslicht weniger wird. Abermals hört man die Sirene eines Rettungsfahrzeugs näherkommen, passieren, in der Ferne verschwinden. Die Äste der Bäume wackeln heftiger. Außer ihm und dem Pärchen scheint es niemand zu bemerken. Ägidius ist mit Servieren beschäftigt, und die Gäste auf der Terrasse sehen nicht viel von der Wolkenfärbung, unter ihren Sonnenschirmen. Nach wie vor dringt lautes Gebrabbel und Lachen von draußen herein. Emsig tragen die Kellner Speisen und Getränke nach draußen, benutztes Geschirr zur Küche, erkundigen sich bei den Gästen, ob alles zur Zufriedenheit ist. Es dauert eine Weile, bis Alois sein nächstes Glas bekommt.
Das ist eine Serviette, die vor dem Fenster vorbeifliegt. Ägidius klappt die Sonnenschirme ein, die ersten Gäste glätten ihr vom Wind zersaustes Haar, ziehen ihre Jacken an, packen ihr Essen und gehen nach drinnen; andere wollen erst aufessen, oder genießen das letzte Licht des Tages.
2
Schon wieder fliegt eine Serviette herum, die Äste wackeln aufgeregt, eine dunkle Wolkendecke bedeckt den Himmel. Der Wind frischt auf, immer mehr Gäste verlassen die Terrasse. Als Regen einsetzt, ziehen auch die Hartgesottenen nach. Das Personal hilft beim Tragen, räumt ab, versorgt Gäste an neugefundenen Plätzen im Trockenen. Einige bezahlen, machen sich auf. Innerhalb kurzer Zeit bricht Starkregen los, viele überlegen es sich deshalb spontan anders, bleiben und bestellen ein Getränk. Man rückt zusammen, arrangiert und hilft sich, es wird gemütlich, Kerzenlicht bringt Behaglichkeit.
Nach und nach finden die Leute zu ihren Gesprächen zurück, füllen den Raum mit ihren Stimmen. Der Regen prasselt unaufhörlich und laut, spült immer wieder neue Gäste ins Lokal, auf der Suche nach einem trockenen Ort zum Aufwärmen. Vielen von ihnen genügt ein Barhocker am Tresen, ein Sessel dahinter oder ein Platz auf einem der beiden Sofas im Eingangsbereich. Zwangsläufig entstehen Gespräche; Menschen, die sich bis eben noch fremd waren, werden zu Bekannten.
Aus dem Regen kommt eine Frau ins Lokal, schüttelt ihren Schirm aus, bevor sie ihn einklappt, hängt ihre nasse Jacke in die Garderobe. Für Alois geht die Sonne auf. Zwar ist sie keine Schönheit, doch ihm gefällt sie. Ihr Alter, ihr Auftreten, all die Spuren alter Geschichten in ihrem Gesicht – diese Mischung spricht ihn an. Sie verlangsamt ihren Schritt, sieht sich um, hält auf den Tresen zu, setzt sich auf einen Barhocker und bestellt sich ein großes Bier. Im Vorbeigehen hatte sie Alois gemustert, aber den Tresen vorgezogen.
Unschlüssig spielt er mit einem Bierdeckel in seinen Fingern, weiß nicht recht was er tun soll. Er hat sie hier noch nie gesehen, obwohl er oft zu Gast ist. Der Sturm muss sie hereingeweht haben.
Er spürt einen Drang, dem er zuerst nachgehen muss. Mit wenigen Schlucken leert er sein Glas, folgt dem ausgeschilderten Weg zur Toilette. Als er die Sofas passiert, sieht er eine lustige Schar junger Leute, die sich angeregt unterhalten. Auch sie hat er nie zuvor gesehen. Ihm gefallen die gute Laune und die Geselligkeit. „Da muss erst ein Sturm kommen, damit es hier mal schön voll wird“, denkt er beim Händewaschen.
Frohen Mutes und mit heiterer Miene geht er in den Gastraum, hält auf den Tresen zu und nimmt neben der Fremden Platz. „Guten Abend. Darf ich ihnen ein Getränk spendieren?“
„Guten Abend.“ Sie wirkt gutgelaunt. „Ich nehme ein Mal das Gleiche.“
Er bestellt zwei große Bier, und schon sind sie ins Gespräch vertieft. „Warum sollen nur auf dem Sofa Menschen zusammenfinden?“, denkt er sich.
Denn auf einem der Sofas, das hat er im Vorbeigehen erfasst, bahnt sich die nächste Bekanntschaft an.
Sie ist blond, kurzhaarig, er brünett, mit langem Haar. Beide sind etwa Mitte zwanzig, und teilen ein gemeinsames Hobby. Immer wieder schielt Alois zu ihnen hinüber, teilt seine Beobachtungen mit seiner neuen Bekanntschaft.
3
„Für Pop ist es zu düster, und für Wave zu leicht“, erklärt er seine Musik.
„Kannst du so richtig spielen?“, will sie wissen.
„Ja, ich habe als Kind Klavierspielen gelernt. Mit dem Keyboard mache ich Flächen dazu, hänge lose kleine Melodien darüber, und Rhythmus macht das Ding auch. Ich kann die ganze Musik machen. Nur der Gesang fehlt mir. Singen wollen viele, und damit zum Popstar werden. Das ist nur leider nicht meine Musik – ich dachte eher an Heavenly Voices ...“
Sie ist begeistert. „Das höre ich auch gerne. Wir können ja mal zusammen proben. Ich war früher im Chor, und würde gerne wieder singen!“
Um die beiden herum haben sich neue Grüppchen und Gespräche gebildet. Es sind junge Leute, die beschließen sich öfter zu treffen, nachdem sie alle in der Nähe wohnen.
Alois freu sich über die Harmonie auf dem Sofa, teilt es seiner neuen Bekannten mit, fragt sie nach ihrem Namen. „Ludmilla“, stellt sie sich vor. „Ich heiße Ludmilla, und habe Durst.“ Er bestellt neues Bier, und freut sich, eine Freu kennengelernt zu haben, die den gleichen Zug drauf hat wie er.
Das Pärchen, das die ganze Zeit drinnen am Fenster verbracht hat, bezahlt und macht sich auf den Heimweg. Gedankenversunken summen beide vor sich hin, gehen an den Sofas vorbei, holen ihre Jacken aus der Garderobe und verlassen das Lokal.
Die gesummte Melodie bleibt bei den beiden Musikern hängen, die schon damit spielen. Im Zusammenspiel entwickeln sie die Tonfolge weiter, arbeiten erste Sequenzen aus, wollen am liebsten gleich spielen und singen.
„In der Garderobe steht ein altes Klavier“, weiß einer der Ortskundigen auf dem Sofa. Sofort nehmen sie es in Beschlag, er klimpert herum, sie summt sich warm. Zusammen erarbeiten und verfeinern sie die Melodie, er variiert ein wenig, sie singt dazu Vokale, einzelne Wörter.
Auf den Sofas wird es still, einer nach dem anderen schaut fasziniert zu den beiden hinüber, verlässt seinen Platz und gesellt sich zur Musik. Sie trauen sich lauter zu spielen und zu singen, verzaubern den ganzen Vorraum des Lokals mit ihrer Musik.
Ägidius sieht es sich ebenfalls an, geht auch gleich zum Tresen und stellt die Musikbeschallung ab. Insgeheim ist er froh die griechische Musik vom Band abstellen zu können. Außerhalb der Öffnungszeiten meidet er sie komplett. Vielleicht sind seine Gäste gar nicht so sehr an griechischem Flair interessiert? Nachdem er den Laden übernommen hatte, und viel an Kitsch entsorgte, kamen mehr Gäste, statt weniger.
Klaviermusik und Gesang der beiden breiten sich in den Gastraum hinein aus, bringen immer mehr Tischgespräche zum verstummen.
4
Ihr ätherischer Gesang bringt jeden, ohne Ausnahme, in Erstaunen. Immer wieder stehen Leute auf und nähern sich der Musik. Der Garderobenraum ist voll mit Zuhörern. Sogar von der Straße kommen Leute herein und sind fasziniert.
Alois und Ludmilla schauen gebannt zu den Musikern. Dazwischen sehen sie sich an, lächeln sich stumm zu.
„Ich glaube, so können wir‘s machen“, meint die Sängerin.
„Mit einem Dis im vierten Takt, statt dem D. Das gibt dem Thema mehr Tiefe.“
Das ganze Lokal applaudiert, immer wieder sprechen Gäste ihr Entzücken aus. Die Zwei hatten gar nicht gemerkt, dass sich Menschen um sie herum gruppieren.
„Wo kann man euch sehen?“, werden sie wiederholt gefragt. Sie haben sich erst kennengelernt, es gibt noch keine Band, keine Songs, gar nichts – nur die Idee.
Nach und nach kehren die Gäste an ihre Plätze zurück. Keiner hat Augen für Alois und seine neue Bekannte am Tresen. Sie halten die Händchen, hatten begonnen sich von ihren Schicksalsschlägen zu erzählen, als die Musik sie sentimental machte. Gemeinsam wollen sie nun ihre Sucht überwinden, zumindest ihren Pegel senken, und zu einem neuen Leben finden – wenn es passt, auch gerne zusammen. Keiner der beiden hatte noch daran geglaubt, bis der heutige Abend sich anschickte, viele Dinge neu zu arrangieren. Durch die Kraft des Sturms, vielleicht auch nur dank der kühlen Luft die er brachte, fühlen sie sich wieder lebendig. Die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft, mit einem Menschen der einen versteht, schenkt beiden Hoffnung und neuen Lebensmut. Sie tauschen Telefonnummern, wollen sich wieder sehen. Alois staunt über sich selbst und den Wandel des Schicksals. Er hatte sich nach schlechten und verletzenden Erfahrungen mit seiner ersten Frau in sich selbst zurückgezogen und dem Alkohol zugesprochen. Das Glück hatte ihn verlassen, aber natürlich nicht die Welt. In den verschiedenen Gaststätten, am liebsten in dieser Taverne, konnte er Paare und Pärchen beobachten, freute sich an ihrem Glück – er war ein Romantiker geblieben. In Ägidius glaubte er einen Schicksalsgenossen gefunden zu haben. Die Geschichte seiner Tätowierung hatte ihm gefallen. Er wagte nicht, sich nach seinem aktuellen Status zu erkundigen. Und dann hatte der Sturm heute alle Bedenken fortgeblasen. All das Glück, das er seinen Mitmenschen gewünscht hatte, scheint nun zu ihm zu kommen.
Für die meisten Gäste ist ebenfalls vieles anders. Musik hat die Anonymität zwischen den Menschen überwunden und einige von ihnen neue Bekanntschaften schließen lassen.
Einer nach dem anderen werden die Gäste das Lokal verlassen, sich auf den Rückweg machen. Sie werden in ihr bisheriges Leben zurückfinden, wohin auch sonst. Was bleibt, ist die Idee, dass es auch anders sein könnte.
Den ganzen Band gibt es hier:
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Übrigens:
habe ich mit meiner Frau in der Story einen kleinen CAMEO-Auftritt. ;-)
Und: Teil 2 der Story-Cocktail-Reihe braucht "nur noch" ein Cover, und ist für Frühjahr 2015 vorgesehen.
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