Reisebericht Ruhr 2012
oder: „Ich bin gekommen, um „boah“ zu hören.“
Das Ruhrgebiet besteht aus einer Vielzahl von Städten und Orten. Sie bilden keine Mega-City, sondern sind um Eigenständigkeit bemüht.
Wer großstädtische Segnungen sucht, wie Imbiss rund um die Uhr, Clubs für jeden Geschmack, Küchen aller Herren Länder, wie es im halb so großen Berlin gängig ist, muss lange suchen.
Zwischen diesen Städten findet sich oft genug Grünland, durch das sich Verbindungsstraßen und Autobahnen ziehen. Ab und an qualmen Raffinerien, moderne Stahlwerke und Kraftwerke.
Und dennoch: das Ruhrgebiet besticht durch seine Vielseitigkeit, überrascht mit Kunst und Moderne, ruhigen Orten. Und mit der Selbstverständlichkeit, mit der Strukturwandel hier zum Alltag gehört.
Teil 1:
Duisburg
Duisburg
Meine erste Station ist Duisburg, ganz im Westen des Reviers, am Rhein. Ich folge der A59. Viele Ein -und Ausfahrten erlauben nur Tempo 80. Sie führt gerade durch, unter und vor allem über die Stadt. Ein altes Haus steht sogar komplett unter der Fahrbahn. Unvermittelt hat man einen Panoramablick auf den ehemaligen Güterbahnhof, und sofort Bilder der Love-Parade vor Augen. Ein riesiges Freigelände, ungenutzt, mitten in der Stadt, und eine altehrwürdige Halle, direkt neben der Fahrbahn. Von Umgestaltung ist nichts zu erkennen. Großveranstaltungen sind bekanntlich nicht möglich. Bleibt abzuwarten was aus dem Gelände wird.
Die Stadt ist von Schwerindustrie geprägt. Pipelines und Fabrikgelände gehören zum Bild. Ich fahre über den Innenhafen, in den Norden. Auf den ersten Blick ist unter mir eine große, braune Fläche. Auf den zweiten erkenne ich Silos, Schrott, Kräne, braune Hafengebäude, und ganz hinten qualmende Schornsteine des Thyssen-Krupp-Stahlwerks Ruhrort und des Kraftwerks Laar.
Schwerindustrie prägt das Stadtbild, auch wenn sie fehlt. Es wirkt zusammengewürfelt, nicht bunt, sondern braun und grau. Straßen passen sich ein, in die Anordnung alter Siedlungen. Es gäbe viel zu tun. Große Sanierungsvorhaben sind zwar geplant, abwarten scheint aber Motto zu sein. Fast stolpere ich bei diesen Gedanken über Reste mehrerer Sylvesterfeuerwerke, das bereits zwei Wochen zurückliegt.
Im Stadtteil Meiderich wurde in den 1980ern das Krupp-Stahlwerk stillgelegt, und im Rahmen des „Landschaftspark Nord“ der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Es ist Samstag Nachmittagt und der Parkplatz (gratis) ist voll, Müll liegt herum. Die Bürger tummeln sich zwischen Hochöfen und Möllerbunker, machen Fotos, steigen auf Hochofen 5 oder besuchen das Café im Hauptschalthaus, das den industriellen Charme bewusst nutzt, oder tauchen im gefluteten Gasometer, das vom Tauchclub betreut wird. Gerüchten zufolge wurde dort eine Cessna versenkt.
Mein Tag endet in der City. Ich folge dem dunklen Turm der Salvatorkirche, der aprupt und flach endet, mit einer Brüstung und weit ausragenden Wasserspeiern. Die verkohlte Färbung seiner Spitze lässt ihn wie abgebrannt aussehen, oder wie aus einer flämischen Landschaftsmalerei. Das wuchtige Rathaus daneben zeugt von Stolz der Bürger und dem einstigen Reichtum der Stadt. In der heutigen City gibt es, neben den üblichen Handelsketten, ein Angebot an Billig-Shops. Sie sind groß und der Zulauf rege.
Ich gehe Pizzaessen. Leute kommen zum Dartspielen, die Musik hat Beat (Deutschrock-Klassiker im HipHop-Remake), Lichterketten blinken. Rauchen erlaubt.
An der Disko nebenan hängt das Programm aus. Erstens: best of ever, zweitens: Tekkno.
Sonntag Morgen um neun bin ich wieder im Landschaftspark, als einer der ersten, mache Fotos vom Stahlwerk im Morgenrot. Als ich zum Parkplatz komme, gegen halb zehn, bereiten sich die ersten Taucher. Der Tag hier beginnt. Die Duisburger sind ihrem industriellen Erbe verbunden.
Lesen Sie in Teil 2: Gladbeck, die kommende Literatur-Hauptstadt
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