Retro-Reisebericht Argentinien 2001
Ab in die Pampa - und weiter bis zum Ende der Welt
Ab in die Pampa - und weiter bis zum Ende der Welt
Teil 1: Buenos Aires - zum aklimatisieren
Im Januar 2001 ging es los, durchs verschneite Oberbayern zum Flughafen. Andy, Deutschlehrer im Ausland, damals in Buenos Aires, lud zu einer Tour durch Patagonien, um mit uns den Süden seiner neuen Heimat zu erkunden. Claus und Christian kamen mit.
In Madrid mal eben umsteigen, von Iberia zur Aerolineas Argentinas, inkl. neu einchecken. Zum Schalter der Aerolineas bitte? Aerolineas: Hier lang, da lang, so lang, rüber, da lang, hierhin, dorthin. Spanier sind wirklich sehr hilfsbereit, hören aber nicht immer zu. Ohne Bordkarten gehts hier nicht weiter. Hm. Und zum Schalter? Hier lang, da lang, ... Der Schalter! Ach, ihr wollt zum Schalter? Der ist‘n Stock tiefer. Aha. Dort stand ein Argentinier, meinte nur: „Der Flieger ist weg.“ Ein Vorgeschmack. Und jetzt? „Geht doch mal zur Iberia.“ Dort half uns ein älterer Herr in Strickjacke, eine spannende Sache für ihn. Gut dass wir halbwegs Spanisch konnten. Flottenpartner Iberia flog uns direkt nach Buenos Aires, unser Gepäck mit Aerolineas mit Zwischenstopp in Brasilien. Ergebnis: nach 12h Flug und einer schlaflosen Nacht (Südländer reden entweder viel, oder laut) waren wir da, unser Gepäck nicht. Wir meldeten es als verloren, Andy holte uns ab, ein Taxi fuhr uns.
Wir sahen Einfamilienhäuser, mit Garten, Garage und Pool, große Reklameschilder, bunte Altbaufassaden, Hochhäuser aus unverputzten Ziegeln. In „unserem“ Vorort San Isidro war es gemütlich, Altbauten in von Bäumen überdachten Straßen. Seine Wohnung hatte große Fenster mit sprossigen Fensterläden, um Sonne draußen und Luft rein zu lassen. Die Klingeln waren mit der Wohnungsnummer beschriftet - bloß keine Namen angeben! Davor hatten sie wirklich Angst. Am Nachmittag klingelte es, unser Gepäck wurde nachgeliefert.
Januar ist Hochsommer, es hatte bis zu 36°C, war mal mehr, mal weniger schwül, Schüler haben 3 Monate (!) Sommerferien. Zeit den Pool im Hinterhof der Anlage zu nutzen und danach einkaufen zu gehen.
Im großen, klimatisierten Supermarkt sahen wir uns um. Abgepacktes Rindfleisch zu 500g, 1 kg, oder größer; Schwein, Hühnchen, Würstchen. Bier gab es nur zu 0,7 l-Flaschen - man trinkt in geselliger Runde. Warsteiner wird in Lizenz gebraut, Quilmes auf Mais-Basis. Kaffee gab es in „Teebeuteln“, die man am Faden in die Tasse tunkt. Andy zeigte seine Kundenkarte, um sich Punkte gutschreiben zu lassen.
Die nächsten Tage erkundeten wir Buenos Aires. Mit einem Nahverkehrszug englischer Bauart ging es in die Stadt. Die Passagiere waren eine bunte Mischung aus Südländern und Mitteleuropäern. Man sieht aber auch Rothaarige, Hellhäutige, mit Sommersprossen und gestreiftem Hemd, die sehr an Engländer erinnern, dann aber spanisch ins Handy sprechen. Argentinien ist, neben Uruguay, das weißeste Land Südamerikas. Die Hälfte der Einwohner stammt aus Italien, das Spanisch ist weich geschliffen und gewöhnungsbedürftig.
Abends gab es das erste Rindfleisch, in so etwas wie einem Familien-Restaurant. Serviert mit 3 Kartöffelchen zur Zierde, frisch vom Grill, zart wie Geflügel (man braucht es kaum zu schneiden), und unglaublich lecker.
Wir trafen noch Tamara, Andys Freundin, und mochten sie gleich. Beide entsprachen nicht dem „Chica & Macho - Klischee“, was die Verständigung erleichterte. Außerdem konnte sie deutsch. Viele Eltern schicken ihre Kinder auf eine deutsche Schule, nicht zuletzt um ihre Berufschancen in deutschen Firmen vor Ort zu erhöhen, die ein hohes Ansehen genießen.
Wo sind wir überhaupt?
Buenos Aires, kurz Bs.As., war früher das „Paris des Südens“. An einzelnen Altbauten, mit Türmchen, Erkern oder typischer Altbaufassade, kann man es sehen. Doch dazwischen überwiegen Bürohochhäuser der 1980er, Zweckbauten, Hochhäuser aus Ziegel oder Betonwürfel. Die U-Bahn (Subte) nahm 1913 ihren Betrieb auf, auf der Linea A noch zu sehen: Waggons sind innen holzvertäfelt, die Glühbirnen setzen regelmäßig aus. Überhaupt ist die Stadt etwas für Eisenbahn-Nostalgiker: Züge der letzten 30-40 Jahre waren noch im Einsatz. Ähnlich sah es auf den Straßen aus: Amerikanische Trucks der letzten 30 Jahre sind live zu erleben, Autos etwas jünger. Die Straßen selbst waren meist gut, nur manchmal löchrig oder aufgeworfen (heißt: Ein PKW muss die richtige Spur wählen, um nicht aufzusitzen).
Avenida de 9. Julio, breiteste Straße der Welt |
Andy zeigte uns die Avenida Rivadavia, die längste Straße der Welt. Und das geht so: in der Stadtmitte startet sie, biegt öfters ab, andere Straßen wurden für ein paar Meter in sie umbenannt, danach führt sie raus in die Vororte.
Die Avenida de 9. Julio ist dafür die breiteste Straße der Welt: Häuser wurden abgerissen, um sie verbreitern zu können, und weiter hinten aus Beton wieder aufgebaut.
Natürlich kann man darüber ausgiebig diskutieren, ob nicht andere Straßen länger oder breiter sind - doch für Argentinier ist die Sache klar.
Zeit für ein zweites Frühstück im Café Tortoni. Eine traditionelle Institution, in einem Altbau, mit gemütlicher Einrichtung, Bohnenkaffee und gepflegter Auswahl an Torten und Gebäck. Der Kellner war bestimmt über 60, in Kellnerfrack und Fliege, beliebte zu scherzen, machte auch gerne Fotos von uns und war ein lustiger Zeitgenosse.
Die „Porteños“ (Einw. v. Bs.As., etwa „Hafenbewohner“) mögen: Psychoanalyse und Körperkult. Nicht nur im Café Freud sitzt man zusammen und tauscht sich aus. Die Psychologen-Dichte ist ähnlich hoch wie in NY. Fitness-Studios sind überall.
Ein echtes Highlight sind die jungen Frauen: Perfekter Körperbau, langhaarig und hübsch, man wird nicht fertig mit schauen. Doch genau darauf legen sie es an. Fitness, Mode und Kosmetik sind wichtig. Andy erzählte uns eine Episode aus einer Klasse, als er eine 14-jährige ermutigen wollte, ihren Kopf zu benutzen - wozu hätte sie ihn sonst. Antwort: zum Schönsein!
Ihre Begleitung sind stämmige, junge Männer, die ihre schulterlangen Haare nach hinten gelen oder mit einem Haarreif halten. Sie führen die Lady und haben recht - was die Lady nicht in Frage stellt. Zeit für einen Kulturschock.
Lo Boca ist so etwas wie das In-Viertel. Bunte Häuser und jede Menge Lokale säumen das ehemalige Einwandererviertel. Meditarrane Lebenskunst an jeder Ecke, eine kluge, hübsche Bedienung im La Perla und ein humorvoller Barkeeper, Souvenirshops und Touristengruppen. Auf Toilette wird man angehalten, benutztes Papier in den Eimer zu werfen statt in die Schüssel (um die Rohre nicht zu verstopfen).
in La Boca |
Das legendäre La Bombonera-Stadion (ca: "Pralinenschachtel") der Boca Juniors steht zur Besichtigung offen, in dem Diego Maradona groß wurde, der beste Fußballer der Geschichte und Argentinier (Fußballexperten halten Pele für den besten, er ist Brasilianer). Seine Biografie war allgegenwärtig und nennt sich „Ich, Diego“.
Am Recoleta-Friedhof, mit seinen riesigen Gruften und Gräbern berühmter Personen, fielen uns die vielen, dürren Katzen auf, die wild in der Stadt leben. Als sie vor Ewigkeiten eingefangen wurden, um das Stadtbild zu verschönern, gab es eine Mäuseplage. Seitdem dürfen sie hier leben.
Zurück in San Isidro wies Andy uns auf die sauberen Gehsteige hin, die von Anwohnern geputzt wurden. Es war wichtig, nach aussen sauber und korrekt zu erscheinen.
Für Müllsäcke gab es Drahtkörbe, ca. 1.50m über dem Boden. So lockt der Müll die Ratten nicht an.
in San Isidro |
Wir holten Wäsche aus dem Waschsalon. Für 3-4 Pesos pro Ladung gab es sie gewaschen und gebügelt, selbst waschen lohnt so kaum. Der Peso war damals 1:1 an den US-$ gekoppelt, das Preisniveau in Bs.As. entsprach im Frühjahr 2001 dem von München. Nach Süden wurde alles teurer, weil es per LKW herangeschafft werden musste. Es überraschte uns, dass die Leute so ruhig blieben.
Und obwohl alle Vorurteile dagegen sprechen (oder gerade deswegen): Wenn man sie erstmal kennenlernt, sind die Argentinier sehr freundliche, herzliche und liebenswerte Menschen. Und ein Volk, das alle Krisen meistern konnte.
Wir holten unseren Mietwagen. Die großen Vermieter hatten übliche Preise, also hatte Andy einen kleinen Betrieb gesucht. Nach viel Verhandlung wurden wir uns über die Kaution einig, bekamen einen Fiat Marea und brachen auf.
Durchs offene Fenster fragte uns ein anderer Fahrer: „Hey chicos, wo ist denn die so-und-so Straße?“ Eine durchaus übliche Anrede. Andere Fahrer hatten ihren Mate-Tee an Bord: Ein bauchiger Becher, oft aus Holz, mit Trinkrohr, steht bereit zu einem Schluck an der Ampel.
Mit einem Auto hatten wir prinzipiell Vorfahrt, Mofas und Fußgänger sind schwächer und haben das Nachsehen. Kulturschock die Zweite.
Nach etwas Kurbelei war der Stadtrand erreicht und wir waren plötzlich im Grünen. Wiese erstreckte sich bretteben aus, wir waren in der Pampa. Das Abenteuer begann!
Lesen Sie in Teil 2: Ab in die Pampa! Tausend Kilometer durch Patagonien. Auf einem Holzsteig schaut man aufs Ende der Welt.
Plus: extra viele Bilder
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen