Dienstag, 1. Mai 2012

Reisebericht: Argentinien Teil 1/3

Retro-Reisebericht Argentinien 2001

Ab in die Pampa - und weiter bis zum Ende der Welt
Teil 1: Buenos Aires - zum aklimatisieren



Im Januar 2001 ging es los, durchs verschneite Oberbayern zum Flughafen. Andy, Deutschlehrer im Ausland, damals in Buenos Aires, lud zu einer Tour durch Patagonien, um mit uns den Süden seiner neuen Heimat zu erkunden. Claus und Christian kamen mit.
In Madrid mal eben umsteigen, von Iberia zur Aerolineas Argentinas, inkl. neu einchecken. Zum Schalter der Aerolineas bitte? Aerolineas: Hier lang, da lang, so lang, rüber, da lang, hierhin, dorthin. Spanier sind wirklich sehr hilfsbereit, hören aber nicht immer zu. Ohne Bordkarten gehts hier nicht weiter. Hm. Und zum Schalter? Hier lang, da lang, ... Der Schalter! Ach, ihr wollt zum Schalter? Der ist‘n Stock tiefer. Aha. Dort stand ein Argentinier, meinte nur: „Der Flieger ist weg.“ Ein Vorgeschmack. Und jetzt? „Geht doch mal zur Iberia.“ Dort half uns ein älterer Herr in Strickjacke, eine spannende Sache für ihn. Gut dass wir halbwegs Spanisch konnten. Flottenpartner Iberia flog uns direkt nach Buenos Aires, unser Gepäck mit Aerolineas mit Zwischenstopp in Brasilien. Ergebnis: nach 12h Flug und einer schlaflosen Nacht (Südländer reden entweder viel, oder laut) waren wir da, unser Gepäck nicht. Wir meldeten es als verloren, Andy holte uns ab, ein Taxi fuhr uns.

Wir sahen Einfamilienhäuser, mit Garten, Garage und Pool, große Reklameschilder, bunte Altbaufassaden, Hochhäuser aus unverputzten Ziegeln. In „unserem“ Vorort San Isidro war es gemütlich, Altbauten in von Bäumen überdachten Straßen. Seine Wohnung hatte große Fenster mit sprossigen Fensterläden, um Sonne draußen und Luft rein zu lassen. Die Klingeln waren mit der Wohnungsnummer beschriftet - bloß keine Namen angeben! Davor hatten sie wirklich Angst. Am Nachmittag klingelte es, unser Gepäck wurde nachgeliefert.

Januar ist Hochsommer, es hatte bis zu 36°C, war mal mehr, mal weniger schwül, Schüler haben 3 Monate (!) Sommerferien. Zeit den Pool im Hinterhof der Anlage zu nutzen und danach einkaufen zu gehen.

Im großen, klimatisierten Supermarkt sahen wir uns um. Abgepacktes Rindfleisch zu 500g, 1 kg, oder größer; Schwein, Hühnchen, Würstchen. Bier gab es nur zu 0,7 l-Flaschen - man trinkt in geselliger Runde. Warsteiner wird in Lizenz gebraut, Quilmes auf Mais-Basis. Kaffee gab es in „Teebeuteln“, die man am Faden in die Tasse tunkt. Andy zeigte seine Kundenkarte, um sich Punkte gutschreiben zu lassen.

Die nächsten Tage erkundeten wir Buenos Aires. Mit einem Nahverkehrszug englischer Bauart ging es in die Stadt. Die Passagiere waren eine bunte Mischung aus Südländern und Mitteleuropäern. Man sieht aber auch Rothaarige, Hellhäutige, mit Sommersprossen und gestreiftem Hemd, die sehr an Engländer erinnern, dann aber spanisch ins Handy sprechen. Argentinien ist, neben Uruguay, das weißeste Land Südamerikas. Die Hälfte der Einwohner stammt aus Italien, das Spanisch ist weich geschliffen und gewöhnungsbedürftig.
Abends gab es das erste Rindfleisch, in so etwas wie einem Familien-Restaurant. Serviert mit 3 Kartöffelchen zur Zierde, frisch vom Grill, zart wie Geflügel (man braucht es kaum zu schneiden), und unglaublich lecker.
Wir trafen noch Tamara, Andys Freundin, und mochten sie gleich. Beide entsprachen nicht dem „Chica & Macho - Klischee“, was die Verständigung erleichterte. Außerdem konnte sie deutsch. Viele Eltern schicken ihre Kinder auf eine deutsche Schule, nicht zuletzt um ihre Berufschancen in deutschen Firmen vor Ort zu erhöhen, die ein hohes Ansehen genießen.

Wo sind wir überhaupt?

Buenos Aires, kurz Bs.As., war früher das „Paris des Südens“. An einzelnen Altbauten, mit Türmchen, Erkern oder typischer Altbaufassade, kann man es sehen. Doch dazwischen überwiegen Bürohochhäuser der 1980er, Zweckbauten, Hochhäuser aus Ziegel oder Betonwürfel. Die U-Bahn (Subte) nahm 1913 ihren Betrieb auf, auf der Linea A noch zu sehen: Waggons sind innen holzvertäfelt, die Glühbirnen setzen regelmäßig aus. Überhaupt ist die Stadt etwas für Eisenbahn-Nostalgiker: Züge der letzten 30-40 Jahre waren noch im Einsatz. Ähnlich sah es auf den Straßen aus: Amerikanische Trucks der letzten 30 Jahre sind live zu erleben, Autos etwas jünger. Die Straßen selbst waren meist gut, nur manchmal löchrig oder aufgeworfen (heißt: Ein PKW muss die richtige Spur wählen, um nicht aufzusitzen).


Avenida de 9. Julio, breiteste Straße der Welt

Andy zeigte uns die Avenida Rivadavia, die längste Straße der Welt. Und das geht so: in der Stadtmitte startet sie, biegt öfters ab, andere Straßen wurden für ein paar Meter in sie umbenannt, danach führt sie raus in die Vororte.
Die Avenida de 9. Julio ist dafür die breiteste Straße der Welt: Häuser wurden abgerissen, um sie verbreitern zu können, und weiter hinten aus Beton wieder aufgebaut.
Natürlich kann man darüber ausgiebig diskutieren, ob nicht andere Straßen länger oder breiter sind - doch für Argentinier ist die Sache klar.

Zeit für ein zweites Frühstück im Café Tortoni. Eine traditionelle Institution, in einem Altbau, mit gemütlicher Einrichtung, Bohnenkaffee und gepflegter Auswahl an Torten und Gebäck. Der Kellner war bestimmt über 60, in Kellnerfrack und Fliege, beliebte zu scherzen, machte auch gerne Fotos von uns und war ein lustiger Zeitgenosse.

Die „Porteños“ (Einw. v. Bs.As., etwa „Hafenbewohner“) mögen: Psychoanalyse und Körperkult. Nicht nur im Café Freud sitzt man zusammen und tauscht sich aus. Die Psychologen-Dichte ist ähnlich hoch wie in NY. Fitness-Studios sind überall.
Ein echtes Highlight sind die jungen Frauen: Perfekter Körperbau, langhaarig und hübsch, man wird nicht fertig mit schauen. Doch genau darauf legen sie es an. Fitness, Mode und Kosmetik sind wichtig. Andy erzählte uns eine Episode aus einer Klasse, als er eine 14-jährige ermutigen wollte, ihren Kopf zu benutzen - wozu hätte sie ihn sonst. Antwort: zum Schönsein!
Ihre Begleitung sind stämmige, junge Männer, die ihre schulterlangen Haare nach hinten gelen oder mit einem Haarreif halten. Sie führen die Lady und haben recht - was die Lady nicht in Frage stellt. Zeit für einen Kulturschock.

Lo Boca ist so etwas wie das In-Viertel. Bunte Häuser und jede Menge Lokale säumen das ehemalige Einwandererviertel. Meditarrane Lebenskunst an jeder Ecke, eine kluge, hübsche Bedienung im La Perla und ein humorvoller Barkeeper, Souvenirshops und Touristengruppen. Auf Toilette wird man angehalten, benutztes Papier in den Eimer zu werfen statt in die Schüssel (um die Rohre nicht zu verstopfen).


in La Boca

Das legendäre La Bombonera-Stadion (ca: "Pralinenschachtel") der Boca Juniors steht zur Besichtigung offen, in dem Diego Maradona groß wurde, der beste Fußballer der Geschichte und Argentinier (Fußballexperten halten Pele für den besten, er ist Brasilianer). Seine Biografie war allgegenwärtig und nennt sich „Ich, Diego“.

Am Recoleta-Friedhof, mit seinen riesigen Gruften und Gräbern berühmter Personen, fielen uns die vielen, dürren Katzen auf, die wild in der Stadt leben. Als sie vor Ewigkeiten eingefangen wurden, um das Stadtbild zu verschönern, gab es eine Mäuseplage. Seitdem dürfen sie hier leben.

Zurück in San Isidro wies Andy uns auf die sauberen Gehsteige hin, die von Anwohnern geputzt wurden. Es war wichtig, nach aussen sauber und korrekt zu erscheinen.
Für Müllsäcke gab es Drahtkörbe, ca. 1.50m über dem Boden. So lockt der Müll die Ratten nicht an.


in San Isidro

Wir holten Wäsche aus dem Waschsalon. Für 3-4 Pesos pro Ladung gab es sie gewaschen und gebügelt, selbst waschen lohnt so kaum. Der Peso war damals 1:1 an den US-$ gekoppelt, das Preisniveau in Bs.As. entsprach im Frühjahr 2001 dem von München. Nach Süden wurde alles teurer, weil es per LKW herangeschafft werden musste. Es überraschte uns, dass die Leute so ruhig blieben.

Und obwohl alle Vorurteile dagegen sprechen (oder gerade deswegen): Wenn man sie erstmal kennenlernt, sind die Argentinier sehr freundliche, herzliche und liebenswerte Menschen. Und ein Volk, das alle Krisen meistern konnte.

Wir holten unseren Mietwagen. Die großen Vermieter hatten übliche Preise, also hatte Andy einen kleinen Betrieb gesucht. Nach viel Verhandlung wurden wir uns über die Kaution einig, bekamen einen Fiat Marea und brachen auf.
Durchs offene Fenster fragte uns ein anderer Fahrer: „Hey chicos, wo ist denn die so-und-so Straße?“ Eine durchaus übliche Anrede. Andere Fahrer hatten ihren Mate-Tee an Bord: Ein bauchiger Becher, oft aus Holz, mit Trinkrohr, steht bereit zu einem Schluck an der Ampel.
Mit einem Auto hatten wir prinzipiell Vorfahrt, Mofas und Fußgänger sind schwächer und haben das Nachsehen. Kulturschock die Zweite.
Nach etwas Kurbelei war der Stadtrand erreicht und wir waren plötzlich im Grünen. Wiese erstreckte sich bretteben aus, wir waren in der Pampa. Das Abenteuer begann!


Lesen Sie in Teil 2:  Ab in die Pampa! Tausend Kilometer durch Patagonien. Auf einem Holzsteig schaut man aufs Ende der Welt.



Reisebericht: Argentinien Teil 2/3

Teil 2:  Ab in die Pampa! Auf einem Holzsteg schaut man aufs Ende der Welt.

Wir waren in der Pampa Humida, der feuchten Pampa, die den Großteil der Provinz Buenos Aires einnimmt. Ob „La Pampa“ oder „Las Pampas“, beide Formen sind korrekt. Grüne Wiese erstreckte sich bis zum Horizont, durchzogen nur von einzelnen Baumreihen, irgendwo ganz hinten. Und irgendwo da hinten laufen Rinder herum, gehen Gauchos ihrer Arbeit nach.

Kilometer 368: Auf der Straße war viel Verkehr, Mercedes-LKW der 1970er, Mack-Trucks der 80er, Autos. Blieben wir stehen, kamen 4-5 Fahrzeuge pro Minute vorbei.
Die Orte lagen allesamt neben der Straße, per Abzweigung und Zubringer zu erreichen. Der Verkehr sollte draußen bleiben. Grundriss und Aussehen der Orte glichen sich. Schachbrettartiger Grundriss, ein kleiner Park bringt Grün, Betonwürfel mit Balkonen, Hotels und Gastronomie vorhanden.

Km 684 (viel Verkehr)

Km 841


Carmen de Patagones

Carmen de Patagones ist der letzte Ort vor Patagonien. Ein rechteckiger Platz in der Mitte, doppeltürmige Kirche des sog. Kolonial-Barock, Eisdiele, bunte Häuser. Wir holten uns Empanadas, gefüllte Teigtaschen (z.B. mit Rinder-Hackfleisch).
Danach fuhren wir rüber nach Viedma, über den Rio Negro, in die gleichnamige Provinz.
Zwischen Viedma und San Antonio Oeste wurde es deutlich trockener, Erosion verwandelte einzelne Landstriche in das, was wir „Badlands“ nannten. Wir blieben auf der „Ruta Tres“ (Straße Nr. 3), der asphaltierten Piste in den Süden, kamen in die Provinz Chubut.






Wir bogen ab auf die Halbinsel Valdes, mal eben Robben kucken. Nach 1-2 h Fahrt über Schotterpiste kamen wir an einen der Strände, an den Seelöwen, Mähnenrobben und See-Elefanten zum schlafen kommen. Es war ein geselliges Beisammensein, wir sahen Dutzende Tiere bei ihrer Pause. Am Punta Delgada besuchten wir weitere Bewohner: viele Magellan-Pinguine ließen sich anspülen und gingen hier an Land. Der kalte Falkland-Strom bringt sie hoch nach Norden. Die putzigen Tiere zeigen keinerlei Scheu vor Menschen und lassen sich gerne fotografieren.
Die Federung des Fiat nahm es arg mit, er begann zu schaukeln. Doch was tun? Die Infrastruktur in Trelew und Rawson (gegründet von walisischen Einwanderern) gaben keinen Boxenstopp her. Zumindest zwei Reifen sollten geflickt werden. Dazu gibt es in spezielle Werkstätten im ganzen Land, sogenannte Gomerias. Für etwa 4 Pesos, zuzüglich Material, wird der Reifen geflickt und hält wieder eine Weile.
In Trelew gingen wir ins Paläontologische Museum Egidio Feruglio und sahen uns Saurierskeltte an.



in der Gomeria (zum Reifenflicken)

Kilometer 1383: Die Landschaft besteht aus kniehohen Dornensträuchern, und Büscheln gelben Grases, genauso hoch. Dazwischen entweder Kies oder trockene Erde. Dies bis zum Horizont, in jede Richtung. Patagonien gilt als Halbwüste, liegt im Regenschatten der Anden. Meist ist es eben, mal leicht gewellt. Mit Glück läuft eine Stromleitung neben der Straße, bringt Abwechslung und Orientierung zur Geschwindigkeit. Ohne Strompfosten sehen Tempo 80 und 130 gleich aus.
Angeblich gibt es hier große Schafherden. Für Rinder gibt das Land nicht genug her.

KM 1491: Der Ruta Tres fehlt ein Stück Asphalt. Es staut sich, jeder sucht seinen Weg durch den Kies und zurück auf den Asphalt.

der Weg nach Süden

Comodora Rivadavia sollte unfreiwillig zu unserer Drehscheibe werden. Mit 140.000 Einwohnern eine der großen Städte in Patagonien. Betonhäuser flankieren gerade Straßen, der Wind pfeift um jede Ecke. Wir quartierten uns ein und brachten den Fiat in die Werkstatt. Fehler gefunden, Ersatzteil kommt in 1-2 Wochen. Nicht gut. Wir gaben dem Chef-Mechaniker 20 Pesos für eine Bastellösung, was ihn sehr motivierte, aber auch nichts brachte. Andy telefonierte mit dem Vermieter, er konnte das Auto abholen lassen und nicht weiter verrechnen, nein wir zahlen den Transport nicht, wäre ja noch schöner. Die hinterlegte Kaution sahen wir nicht wieder.
Wir suchten und fanden ein stabiles Auto, einen Jeep Cherokee für die Schotterpisten am Fuße der Anden, der morgen eintrefften sollte. Gebucht.

So blieb Zeit fürs Erdölmuseum. Im Hinterland wird Öl gefördert, so wurde die Stadt groß und reich. Die Dame ließ es sich nicht nehmen, uns eine Führung zu geben. Ich übersetzte Claus und Christian so gut ich konnte. Teils auch nur mit „ich sage jetzt nur irgendwas, damit sie glaubt ich würde übersetzen“. Als Lateiner verstanden sie ohnehin viel.
Die Temparatur lag mit max. 25°C ohnehin nicht mehr so hoch. Abends frischte der Wind auf, durch die breiten Straßen trieb es ungehindert Regen, nachts hatte es nur noch 10-15°. Wir besuchten auch einen Parrilla (sprich: parriescha), ein Grill-Lokal. Meist von Asiaten geführt, grillen sie all-you-can-eat. Der Nachteil ist, dass Rind oft nur aus mageren Rippen besteht. Alternativ gibt es Schwein oder Hühnchen. Und weil es Asiaten sind, hat man Chancen auf Gemüse - es trifft der Geschmack der Argentinier nicht so ... 

Nach vier Tagen Zwangspause ging es endlich weiter. Auf in die Provinz Santa Cruz, dort wo der Wind zuhause ist.
Nach knapp 200 km gab es den „Versteinerten Wald“ von Jaramillo zu sehen. Baumstämme wurden in Urzeiten vom Regen „mineralisiert“, und so zu Stein. Man sieht also „Baumstämme“ herumliegen, die auch so aussehen, mit all den Farben und Jahresringen. Doch sie fühlen sich an wie Stein, sind hart und schwer wie Stein, sind aus Stein.

Versteinerter Baum


Km 1392
auf der Strecke geblieben

KM 1798: Wir hielten an der Straße und brachten die Türen kaum auf. Obwohl die rechten Türen leicht nach unten hingen durch die Schräglage, mussten wir uns oft genug mit ganzem Gewicht dagegenlehnen. Der Wind aus West drückte dagegen. Zigaretten anzünden oder im Freien pinkeln war nicht mehr. Das war dann leichter Wind. Abends konnte er auffrischen, die Pappeln gehörig durchrütteln, die als Windbrecher vor jedem Ort stehen. Uns bescherte er lebhafte Träume, ja - wir träumten ganze Filme wenn es die ganze Nacht blies. Was wir als Starkwind empfanden, war hier alltäglich.

Nach 2500 km kamen wir nach Rio Gallegos (sprich: rio gascheegos). Bis 1981 kamen Briten von den Falkland-Inseln hierher, zum einkaufen oder um das Krankenhaus zu besuchen. Nach dem Falklandkrieg blieben sie aus. Geblieben ist der „British Club“, ein Restaurant mit Streifentapete, Rauchsalon, Billardzimmer (bzw. Snooker), Kellnern im Anzug. Alles was fehlte, waren echte Engländer.

Über die Magellanstraße, nach Feuerland

Weiter ging es Richtung Feuerland. Es geht ein Stück durch Chile, die Grenze kam bald. Und das geht so: Man fährt bis zur Schranke, geht in das Holzhaus, füllt ein Formular mit Name, Beruf, Ausweisnumer aus, das man stempeln lässt, geht zurück zum Auto, zeigt Stempel und Kofferraum, wartet bis die Schranke aufgeht und man Argentinien verlassen kann. Soldaten stehen bereit, die Grenze ist Sache des Militärs. Die „Bandera“ (Fahne) weht groß und meist dreckig und zerrissen. Sie zum waschen einzuholen ist ein streng regulierter Akt, denn wo sie weht, ist Argentinien. Ein großes Schild, mit Silhouette der Falkland-Inseln, steht unübersehbar neben der Straße und verkündet: „Las Malvinas son Argentinas“ (Die Malvinen = Falkland-Inseln sind argentinisch).


Wir fuhren ein Stück zur nächsten Schranke, gingen ins Holzhaus, alles nochmals, um in Chile einzureisen. Hier stand Polizei in kugelsicheren Westen, mit Aufschriften wie „Detective“ oder „Officer“. Außerdem hingen Vermisstenanzeigen aus. Chilenen sind familiärer und Vielen sieht man ihre Indio-Wurzeln an.
Eine Fähre tuckerte uns über die Magellanstraße, wir waren auf Feuerland! Nach kurzer Fahrt wieder ein Grenzübertritt mit dem üblichen Prozedere, auf die argentinische Seite Feuerlands.

Die Wiesen bestanden mehr aus Gras als aus Dornbüschen, wir sahen die grasenden Schafe auch mal. Die einzelnen Höfe haben sich eingekreiste Zahlen aufs Wellblechdach gemalt, um sie erkennen zu können. Zur Versorgung aus der Luft kann das wichtig sein, wenn im Winter der Schnee alles verschluckt.
Wir fuhren über die Berge am Lago Fagnano, es begann zu schneien, der Schnee blieb liegen. Es war nur eine dünne Schicht, und auch nur in den Bergen. Immerhin war es Sommer.



In Ushuaia herrschte reges Treiben, es gab viele private Hotels und Restaurants. Touristen tummelten sich - hier starten Antarktis-Kreuzfahrten, Kap Hoorn ist zum greifen nah. Als Souvenirs gibt es gestempelte Postkarten vom Ende der Welt, oder Poster mit einer Karte von Kap Hoorn und den davor gesunkenen Schiffen.
Die Ruta Tres endet hier, wir waren am Ende, in der südlichsten Stadt Argentiniens (offiziell ist das chilenische Puerto Williams die südlichste Stadt der Welt). Eingerahmt von verschneiten Bergen und bunten Häusern verströmt der Hafen angenehmes atlantisches Flair.
Es ist nicht weit zum Nationalpark Tierra del Fuego, mit ausgehnten Sümpfen bzw. Torfmooren, Otter bauten einen Damm. Wir verließen den Weg und ließen uns von dichtem, weißen Geflecht tragen, das unter der rot-grünen Deckschicht erscheint, Wasser quoll von unten um die Sohlen. Also besser auf dem befestigten Weg bleiben und die Einsamkeit des Sumpfes am Ende der Welt genießen.

Tierra-del-Fuego Nationalpark


Biberdamm
im Sumpf
Blick aufs Ende der Welt

Die Fahrt konnte jetzt nur nach Norden gehen. Wir wollten in Chile verweilen und erst bei den Gletschern wieder zurück. Es ging erst richtig los!

Lesen Sie in Teil 3: Dort wo der Gletscher kalbt, auf der Spur des Puma und weitere Bordercrosses. 



 

Reisebericht: Argentinien Teil 3/3

Retro-Reisebericht: Argentinien 2001
Teil 3: Dort wo der Gletscher kalbt, auf der Spur des Puma und weitere Bordercrosses.

Der Schnee in den Bergen war geschmolzen, der Grenzübertritt bekanntes Ritual. Später bogen wir ab nach Westen, zur Fähre in Porvenir. Der chilenische Teil Feuerlands sah nicht anders aus: Höfe mit Nummern auf dem Dach, weite Wiesen, kahle Hügel, die Gebäude verwittert, immer ein leichter Wind. In Porvenir war die Fähre schon weg, wir blieben über Nacht. In der Gomeria ließen wir einen Reifen flicken (etwa zum zehnten mal). Der Mechaniker arbeitete im Pulli, der ab und an den Rücken entblößte. Wir zogen unsere Jacken zu, der Wind kam kühl und unangenehm. Doch als Einheimischer war er das natürlich gewohnt.
Wir fanden eine Bleibe, es gab einen 4er-Schlafsaal für uns. Die Tapete schien aus den 1960ern zu sein. Am Kamin standen Ziegel aufrecht, um die Wärme zu speichern. Doch wir brauchten nicht heizen, es war ja Sommer.
Unten war es modern und gemütlich, es gab Häppchen, der Fernseher lief, die etwa 16-jährige Tochter freute sich über Abwechslung und fragte uns alles Mögliche. Sie trug bauchfrei, das war modern. Wir fühlten uns wohl, nahmen trotzdem Tags drauf die Fähre nach Puntas Arenas.



Feuerland (Chile)

Plötzlich herrschte Betrieb im verschlafenen Ort, ein größeres Schiff kam und fuhr uns in einer knappen Stunde über die Magellanstraße. Ich trank solange einen Milchkaffee. Das ging so: Instant-Kaffee wird mit warmer Milch aufgerührt, fertig ist der Cafe con Leche.

Wir waren zurück in Patagonien, im chilenischen Teil. Es war grün und bergig, Bäume und Blumen wuchsen, wilde Guanakos und Gauchos kreuzten unseren Weg. Die Leute waren herzlich und freundlich, die Häuser litten allerdings an früherer Mangelwirtschaft. Die Zeiten als Außenposten des Sozialsimus und die der Militärdiktatur gingen nicht spurlos vorüber.

Tankstelle
Gaucho!

Nandus und Guanakos

Der Nationalpark Torres del Paine ist schon atemberaubend. Nicht wegen der Höhenluft, sondern wegen der Ausblicke. Schneebedeckte und vergletscherte Berge ragen majestätisch auf, Seen und Flüsse leuchten azurblau. Solche Landschaften laden ein, sie aus dem Klappstuhl zu betrachten.
Es gab so etwas wie ein Matratzenheim, in dem wir blieben, wo der Wind durch undichte Fenster und Türen kam und ging. Doch es lohnte sich hier Zeit zu verbringen.


Torres del Paine
  
Auf der Spur des Puma

Dennoch ging es weiter, auf die argentinische Seite, in den Wanderer-Ort El Chalten, am Fuße des Monte Fitzroy. Das gemütliche Backpacker-Hostel eignet sich als „Basislager“. Dort hingen auch Fotos vom Winter - das Haus war erkennbar, die Zufahrt nicht mehr, der Schnee begrub das ganze Tal. Wir wanderten die Berge hoch, pausierten am wilden Fluss, folgten der „Spur des Pumas“ (woher kam sonst das Skelett in Größe eines Pferdes?), machten tolle Fotos vom Fitzroy, der sich zur Abwechslung nicht in den Wolken versteckte, spürten aber auch den kühlen Hauch der Gletscherwelt.
Abends in einem kleinen Gasthaus gab es hausgemachtes Schwarzbier, der Chef war Brauer aus Tschechien. München kannte er, dort hatte er gearbeitet in den frühen 1950ern - wollte wissen, ob es noch Trümmer gab, oder die Stadt wiederaufgebaut war.


Monte Fitzroy


Die Spur des Puma

Auf Schotterstraßen ging es weiter, hinunter zum Fuße der Anden, wo es sichtlich trockener war als in den Bergen, und weiter nach Norden. Die Trucker zogen lange Staubfahnen hinter sich her, waren aber schlau genug, bei Ostwind auf die linke Spur auszuweichen, so dass wir auf der „Luv-Seite“ staubfrei überholen konnten, während der Staub nach links wehte. So viel zur Verkehrsdichte am Fuße der südlichen Anden.

Dort wo der Gletscher kalbt

Am Lago Argentino, es ging wieder hoch, sieht man den Gletscher Perito Moreno. Auf Bretterwegen geht es den Hang hinab, man sucht sich einen Platz und wartet. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees schiebt sich die Gletscherzunge auf den See. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein überhängendes Stück herabfällt und in den See kracht. Der Klang kommt zeitversetzt an. So nah und bequem sieht man einen Gletscher selten.


Gletscher Perito Moreno

Die relative Nähe zur Antarktis spürten wir immer wieder. Der Wind konnte richtige Kühle bringen. Die Gletscher liegen hier auch vergleichsweise tief, auf 2000 Höhenmetern oder gar weniger. Das Gletschergebiet der südamerikanischen Anden ist das drittgrößte (nach Antarktis und Grönland), der Perito Moreno ist einer der wenigen, der noch wächst.

Der Rückweg ging wieder nach unten, die Gegend wurde zusehends trockener, bis wir wieder in der Steppe waren. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die „Cueva de los manos“, die „Höhle der Hände“, in denen Steinzeitmenschen Tiere, Jagdszenen und v.a. ihre Hand-Negative an Felswände malten. Das trockene Klima konservierte sie.


Cueva de los manos



Die Gegend im westlichen Patagonien war sehr trocken und eintönig, bestand manchmal nur aus „Oben und Unten“. Unten: Staub, Geröll und flache Pflanzen; Oben: weiter, blauer Himmel.
Wir kamen zurück an den Atlantik, nach Comodoro Rivadavia, unserer unfreiwilligen Drehscheibe. Unser Aufenthalt war kürzer als gedacht. Gepäck deponieren, zum Flughafen fahren und einen Flug buchen, Auto abgeben, Gepäck auflesen und noch am selben Abend nach Buenos Aires zurückfliegen.

Abends um halb zwölf landeten wir am Flughafen Ezeiza (für Inlandsflüge). Dort herrschte reges Treiben, Angehörige abholen oder abfliegen, jeder hatte es wichtig, es ging hoch her.  Zurück im Hochsommer, mit freier Zeit.

Tigre: Knatternde Motorboote als ÖPNV

Ein Ausflug führte uns nach Tigre, einem Vorort von Bs.As., im Mündungsgebiet des Rio Paraná in den Rio de la Plata, wo VW und Ford ihr Werk haben, oder die Schönen und Reichen ihr Wochenendhaus inkl. Bootsanleger in sog. „Country Clubs“ haben. Der ÖPNV besteht hier aus knatternden Motorbooten, die Schüler zur Schule und Touristen wie uns nach Irgendwo bringen. Eingewachsen zwischen hohen Palmen und Büschen fanden wir alte Häuser, die an Onkel Toms Hütte erinnern. Und mitten in der Welt der Wasserstraßen standen alte Zapfsäulen für Motorboote.






Uruguay: im Land der Oldtimer

Der zweite Tagesausflug brachte uns nach Uruguay, ins alte Städtchen Colonia del Sacramiento, auf der anderen Seite des Rio de la Plata. Wir bekamen einen Stempel in den Pass. Kioskwärter tranken entspannt Mate aus dem bauchigen Pott, Autos bremsten und ließen uns passieren (in Bs.As. unüblich). Uruguay ist ein Paradies für Autoliebhaber - wegen hoher Einfuhrabgaben werden Oldtimer in Schuss gehalten. Der entspannende Lebensstil steckte uns an, wir schlenderten langsam oder dösten im Freien, bis die Rückfahrt anstand.






Hinter uns lag eine Tour mit über 4000 km im Auto, 2 Mietautos, 3 Ländern, fast 30° Temperaturschwankung, unglaublich vielen Eindrücken. In diesen 4 Wochen sahen wir viele Facetten eines großen Landes, wurden freundlich und herzlich behandelt, fanden viel Optimismus und Lebensfreude, in einem krisengeschüttelten Land. Doch es würde immer irgendwie gehen - diese Einstellung wollten wir mitnehmen.

Auf dem Madrider Flughafen fühlten wir uns wieder daheim. Kein Formular ausfüllen, einfach einreisen. Und von Madrid kommt man immer irgendwie heim, was konnte jetzt noch passieren? Wir waren ja wieder zuhause, in Europa.


Nachträge:
Ende 2001 verschärfte sich die Krise. Banken gaben kaum noch Bargeld aus, Geschäfte wurden geplündert, Präsident De la Rúa floh per Hubschrauber.
Aerolineas Argentinas stand im Frühjahr 2001 kurz vor dem Aus
2002: Andy und Tamara heiraten, bekommen 2 Töchter
2004: Claus geht auf Weltreise (www.slothtour.de)
2011 und 2012: argentinische Künstler stellen Werke in der Galerie Kunstvoll in Höhenkirchen-Siegertsbrunn aus
Eine Co-Produktion für die Münchner Kunstarkaden wurde leider abgelehnt.
Alle Fotos entstanden analog, ohne Effekte.