Donnerstag, 19. April 2012

Retro Reise-Berichte

In den 1990ern, einem Jahrzehnt des Umbruchs und des Wandels, bekam ich einmalige "Mitfahrgelegenheiten" angeboten, bzw. fanden sich Mitreisende für Reisegebiete abseits des Massentourismus.
Rückblickend betrachtet waren es spannende Reisen, oft in Länder, in denen der Umbruch in Gange war; Reisen, die sich nicht alle wiederholen lassen.

Diese Eindrücke und Erlebnisse möchte ich hier teilen. Vielleicht regen sie euch ja zu Urlaubsträumen an, oder zu noch interessanteren Touren. Kommentare jeder Art sind natürlich willkommen.

Abschließend möchte ich noch anfügen, dass ich in jedem Land, wirklich in jedem, sehr freundlich und anständig aufgenommen wurde.

Man möge mir die Qualität der Fotos nachsehen. Filme waren früher begrenzt (auf max. 36 Fotos pro Film!), und sind heute nur eingeschränkt digital nachzubearbeiten. Aber so war das damals ...

Sonntag, 8. April 2012

Retro Reisebericht: Irland 1994

Ein mal um die grüne Insel

Im Rekordsommer 1994, als es Gleise verbog und Gewässer sich den 30°C näherten, beschlossen wir nach Irland zu flüchten, und unser BaFöG in Bildung zu investieren. Ein mal rundum sollte es gehen.





So stieg ich Anfang August mit Markus und Flo am Dubliner Flughagen in den Linienbus. Natürlich haben Haltestellen hier keine Namen. Also fragten wir einen Einheimischen, ob er uns zur Mountjoy Street bescheid geben konnte. „Hä? Wohin?“ Okay, man darf nicht so deutlich sprechen: „Maundtschoi striet“. „Wohin?“ Okay, nuscheln: „manschoysriet“. „Ah, Mountjoy street! Yeah, I tell ye.“
Auf der Straße wiederholte sich das Spiel mit einem Schutzmann (natürlich unbewaffnet), der uns ebenfalls erst im dritten Anlauf verstand. In der Jugendherberge in der Mountjoy Street gingen die Sprachprobleme weiter. Der Lautsprecher rief Leute und Zimmernummern aus. Wir verstanden immer „Contraception please“ (anstatt „come to reception“).



Dublin müsste eine moderne Stadt werden, so viele Baustellen wie es gab. Viele Gebäude waren dreckig, ramponiert, baufällig. Warenhäuser und sogar Kirchen standen zum Verkauf. In der Fußgängerzone war die Gelegenheit günstig, mit dem Rauchen anzufangen. Junge Leute boten Tabak an, wollten etwas dazuverdienen. Die Autos in den Straßen waren hauptsächlich asiatischer Produktion, Nobelkarossen waren kaum zu sehen. Ab 16 Uhr war Betrieb in den Pubs - auf dem Heimweg konnte man schon das erste Guinness trinken. Dublin wirkte wie eine Kleinstadt, trotz einer Million Einwohnern im Großraum. Wir spielten Nationaltitäten raten. Lange Hose, kurzes Oberteil: Deutsche (da es angenehm mild war). Hawaii-Hemd und Bermuda-Shorts: Amerikaner (weil sie in Urlaub waren). Dicker Pulli oder Jacke: Iren (weil es kalt war). Volltreffer.



Am Trinity College, wo das berühmte Book-of-Kells zu sehen ist, schreckte uns die Warteschlange, am Guinness-Stammhaus der Eintrittspreis. Wir sahen uns lieber Kunst an, im Irish Museum of Modern Art, oder suchten das Künstlerviertel. Dieses fanden wir auch, in zwei abgestürzten Straßen hatten junge Leute Kunst an die Wände gebracht und ein Café eingerichtet. Nebenan war der „Music-Garden“, in dem angeblich jeden Abend ein Grunge- oder Rockkonzert stattfand. Überhaupt liefen hier alle jungen Leute in schwarz herum, mit T-Shirts ihrer Lieblings-Grunge-Band. In einem Musikladen war der Inhaber damit beschäftigt, CDs auf Tape zu kopieren, um die Kopien zu verkaufen. Hier entdeckte ich die Levellers, die hier angesagt waren - das Band gab es für etwa 4 DM.

Hier gibt es Fenster und Türen


Hier gibt es eine Kirche zum Kauf
Hier gibt es Geschäftsräume



Pub-Food ist dem englischen ähnlich, es gibt Fish‘n‘Chips, Chicken‘n‘Chips, Gemüselasagne mit Pommes, Erbsensuppe mit Pommes. Tee kommt in einer Blechkanne in verschiedenen Größen, man nennt am Eingang die Anzahl (z.B. „Tee für drei“), und ist immer lecker - vorausgesetzt man mag ihn dunkel und kräftig. Andere Sorten gibt es nicht, Zitrone zum Tee ist ein Fremdwort. H-Milch und Zucker stehen am Tisch, Kekse gibt es günstig, meist als Bruch.
Kaffee gibt es schwarz oder weiß. Schwarz = Instant-Kaffee, weiß = mit einem guten Schluck H-Milch, den der Barkeeper zusetzt. Eine Handvoll Traditions-Cafés bot „Ground-Coffee“, also Bohnenkaffee, mit einem gepflegten Stück Torte. (Vor der Zeit der Coffee-Shops).

Um neun Uhr abends wollten wir noch Tee trinken, die Bedienung musste lachen, es gab nur kalte Getränke. Also gleich zum Bier. Gleich zwei? Nein, erstmal eins, später vielleicht ein zweites. Dann war es aber zu spät, um 22:30 war Zapfenstreich.Wir wussten jetzt, warum Einheimische gleich zwei Bier auf einmal bestellen.
Wir fanden einen Club, in dem weniger Grunge, mehr Dark-Wave gespielt wurde. Dort gab es Whiskey (mit „e“), zu „Black Planet“ von den Sisters („so dark all over Europe“).
Zurück in der Jugendherberge fanden wir 2 unserer 3 Betten belegt, kein Rütteln half. Flo und ich beschlossen mit Schlafsack uns Isomatte einen ruhigen Fleck im Gang zu suchen. Dort wurden wir nachts vom Wachmann geweckt (natürlich unbewaffnet), der uns ins Gesicht leuchtete, unsere Quittungen sehen wollte und nach kurzem Gespräch weiterschlafen ließ. Zugluft durch undichte Fenster brachte Erfrischung und ließ uns wegschlummern.

Zeit den Mietwagen zu holen und Dublin zu verlassen. Ein junger Mann, in unserem Alter, in Hemd und Krawatte, schmiss den ganzen Laden. In seinem engen Schalter jonglierte er mit Ordnern, Papieren, klingelndem Telefon und wartenden Kunden.


Von Leuten die gingen, Magie die blieb und um was es bei Hunderennen wirklich geht


Die Insel ist grün und malerisch schön, im Osten noch eher flach und landwirtschaftlich geprägt. Landstraßen haben links und rechts noch eine halbe Spur. Langsame Gefährte weichen aus. Wer überholen will, zeigt das per Lichthupe, man weicht aus, so passen kurzzeitig drei Fahrzeuge auf die Fahrbahn, schwere Unfälle werden vermieden.
St. Canices Cathedral in Kilkenny ist absolut traumhaft zu besichtigen (aber analog schwer zu knipsen, wenn dunkle Wolken darüber hängen). Ein Polizist (natürlich unbewaffnet) ermahnte uns, da Markus halb auf dem Gehsteig parkte. Nein, zuhause machen wir das nicht und es war falsch von uns, wir machen es nicht wieder.

Kilkenny, St Canices Cath.
 (Foto von 2000)


Unser erster Halt war die Jugendherberge Foulksrath Castle, ja, im Turm einer alten Burg. Zimmer und Speisesaal waren im erhaltenen Teil, dem Turm, der Parkplatz bei den Mauerresten. In unserem Zimmer schlief ein Typ mit Mütze auf dem Kopf. Die Aussentemperatur von 15-20°C herrschte auch drinnen, die Fenster waren undicht.

Foulksrath Castle (Jugendherberge)


Cork ist eine nette, gepflegte Stadt im Süden, und gut zu Fuß zu erkunden. Fragt man nach dem Weg, erhält man Antworten wie: „Der Mann, der die Treppe nach unten nimmt - dem folgt ihr, dann links der Straße folgen. Dort ist ein freundlicher Mensch, der euch den weiteren Weg sagt.“ Überraschenderweise traf das exakt ein. Waren wir auf einer sagenhaften, magischen Insel? Oder nur in einer Stadt, in der ständig Leute unterwegs sind?

Sonntag Nachmittag beim Hunderennen. Jung trifft Alt, man wechselt ein paar Worte mit Jedem. Die Hunde werden herumgeführt, Zeit seine Wette abzugeben. Flo wettete 2 Pfund, gewann 2.50. Man wettet nicht ums Geld, sondern für Nervenkitzel und Unterhaltung. Überhaupt konzentrierte sich niemand auf die Hunde, es war mehr ein gemütliches Zusammenkommen.

Weiter ging es in den Südwesten. Die Halbinseln Kerry und Dingle sind atemberaubend schöne Flecken Erde und dürfen nicht fehlen. Immer wieder stehen Ruinen neben der Straße, alte Kirchen oder verlassene Höfe. Man bleibt einfach stehen und macht Fotos.



Kerry



In Kerry fanden wir ebenfalls Ruinen. Allerdings keine Kirche, sondern Wohnhäuser, fast ein Dutzend. Ein ganzes Dorf schien verlassen, wir konnten auf den eingewachsenen Mauern herumlaufen und in ehemalige Wohnzimmer und Küchen schauen. Ob das ganze Dorf nach Amerika auswanderte, wie so viele Iren?
1848 und 1849, nach verheerenden Kartoffel-Fehlernten, wanderten 1 Million Menschen aus. Allein über Cork verließen 3 Millionen Leute das Land, wenn auch in einem längeren Zeitraum. Von diesem Schwund hat sich Irland bis heute nicht erholt. In Boston und New York prägen sie ganze Stadtviertel. Amerikaner sind gern gesehen, Viele kommen zur Spurensuche nach Irland.





Am Ring of Kerry verteilen sich die Touristen, oft ist man alleine in großartiger Natur. Grüne Berge wechseln mit Wiesen, Steilklippen mit Sandstränden, bunte Häuser verströmen Gemütlichkeit in kleinen Dörfern, das Pub darf nie fehlen.

Auf einer der Spritztouren, nach Meilen auf engen Straßen, waren wir ganz weit ab. Doch unverhofft stand das Wort „Zeltplatz“ an einem Bauernhof, für drei Pfund stellten wir (das einzige mal) unser Zelt auf. Wir hatten Sonnenunter- und aufgang am Meer, umringt von grünen Hügeln, allein für uns. Am Morgen bekamen wir ein Kännchen frischer Milch. Der Alte freute sich wortkarg über Besuch.

Dingle ist eine Halbinsel nördlich davon und nicht weniger spektakulär. Man fährt am Meer entlang, auf dem Connor-Pass über die Berge, am Slea-Head-Drive um die Spitze der Halbinsel. Wenn die Abendsonne ihr Licht über Küste und Berge vergießt, braucht man nicht viel mehr zum leben. Man ist ganz weit draußen, und doch zuhause.

Hier finden sich auch sogenannte „Gaeltachts“, in denen gälische Sprache und Traditionen gepflegt werden. Sind Wegweiser und Ortsschilder landesweit zweisprachig (englisch und gälisch), fehlt hier die englische Version. Da unsere Landkarte nur englisch war, blieb uns nur Navigation nach Karte und Raten.



Dingle



Abends in einem Pub wurden wir gleich adoptiert. Hier sind noch Plätze, setzt euch dazu. Schon gehörten wir zu einer Runde von etwa 15 Leuten. Ein kleines Kind wurde herumgereicht. Jeder kümmerte sich 5-10 Minuten, machte Hoppe-Reiter und redete mit ihm, gab es dann weiter. Ein kleiner Beitrag von jedem, eine große Hilfe für die Eltern. Die beiden, die uns zur Runde einluden, waren übrigens selbst Touristen (aus Dublin), wie wir später erfuhren. Iren sind wirklich familiär, hier wird jeder aufgenommen und versorgt.

Limerick ließen wir aus, dadurch versehentlich auch die Cliffs of Moher. Im Zentrum der Insel steht der Rock of Cashel, die Ruine eines riesigen Klosters, auf einem 65m hohen Bergs, strategisch gut gelegen. Hier wechselten Könige und Bischöfe, wechselte die irische Geschichte mehrmals ihren Lauf, ehe die Anlage im 18. Jahrhundert dem Verfall preisgegeben wurde.

In Galway-Town gab es Fast-Food. Ein altes Ehepaar briet Burger auf einem heißen Blech. Sie knetete neue Bulletten, er ölte das Blech ein und briet. Am Schluss wurden die Brötchen kurz angebraten, mit Salatblatt garniert und fertig war ein knuspriger Imbiss - wahlweise auch mit Fischfilet. Das Ganze dauerte etwa 5 Minuten, die Leute warteten geduldig.
Weiter fuhren wir durch Galway, mit seinen großen, grünen Bergen, und kamen in den Donegal.
Rock of Cashel


Durch die Highlands des Donegal, über die bewachte Grenze nach Nordirland


Der Donegal, ganz im Nordwesten, besteht aus Highlands, verwandt mit den schottischen. Die Hügel strecken sich lang-, lang-, langgezogen dahin, nur von Gras und Moos bewachsen, flache Tümpel dazwischen. Die Wolken vom Atlantik hängen hier fest, wenn nicht kriecht Nebel durch die Täler. Beide Tage waren gleich: Morgens Sonne und blauer Himmel, nachmittags Wolken, ab abends Regen, die ganze Nacht. Im Hostel wurde der Kamin angemacht, damit es warm wurde. Zu Gitarrenmusik trank man Tee, so wurde es gemütlich. Auf den Zimmern war es kühl und klamm, durch undichte Fenster zog feuchte Nachtluft.


Donegal



Wir berieten, ob wir nach Nordirland wollten, da die Nachrichten von einem Anschlag berichteten. Flo kombinierte trocken: Heute Anschlag, morgen Gegenanschlag, übermorgen kommen wir. So kam es auch.

Wir folgten irischen Wegweisern und Karten Richtung Derry. Fuhren auf schwarzem Asphalt mit abgebrochenen Straßenkanten, vorbei an weiß-gekalkten Häusern, mit Reetdach und wildwachsenden Bäumen.
An der Grenze standen drei Wachtürme, der größte in der Mitte. Davor stand ein britischer Soldat in voller Ausrüstung: Uniform, Kampfstiefel, MPi umgehängt, Stahlhelm mit aufgebundenen Zweigen, dunkel bemalten Wangen. Ein Sergeant, mit grünem Barrett, warf einen tiefen Blick in jedes Auto, winkte aber durch. Nur vereinzelt wollte er Kofferräume sehen.

Auf einen Schlag waren wir in einer anderen Welt. Wir fuhren auf rotem Asphalt (in England verbreitet), die Straße war ordentlich und etwas breiter. Die Häuser aus rotem Backstein, mit getrimmtem Rasen und gepflegten Bäumen davor .
Wir umfuhren die Stadt, die in Irland immer noch „Derry“ heißt, hier aber „Londonderry“ genannt wird. Protestantische Zugezogene wollten ihre Verbundenheit zu England mit dem Zusatz „London“ ausdrücken. Die Kreisverkehre hatten Namen und gepflegte Blumenbeete in ihrer Mitte.
In der Kleinstadt Coleraine hielten wir, ich hob Geld von meinem Postsparbuch ab (Bristische Pfund). Im Kaffeehaus hing eine alte Streifentapete, mit farbiger Zierleiste zur Decke hin. Ältere Ladies wählten sorgsam ihren Kuchen und führten gepflegten Smalltalk. Es wirkte englischer als in England; schrullig, interessant und irgendwie auch gemütlich.

In vielen Gärten wehten Fahnen: Ein paar irische, ein paar Union-Jacks, meist aber die
nordirische (der englischen sehr ähnlich). In Irland sahen wir keine privaten Fahnen.
Wir ließen die Bushmills-Distillerie aus und hielten am Giants Causeway. Sechseckige Basaltsäulen unterschiedlicher Höhe ragen auf einer Zunge hinaus ins Meer, vereinzelt stehen sie auch abseits. Der Sage nach ist es der Fußabdruck des Riesen Benandonner aus dem nahen Schottland, als er vor seinem Widersacher floh.
Das Wetter war gut, sonnig und mild. Es ist die Kulisse, um in weißem Anzug und Strohhut vor einem Leuchtturm zu flanieren, bzw. solche Bilder zu malen. Die Wolken blieben ja im Donegal hängen.

Giants Causeway









In Cushendall blieben wir über Nacht. Supermärkte waren drei mal so groß. Im Hostel erwarteten uns neue Matratzen und dichte Fenster. So fiel uns das Einschlafen schwer - wir vermissten die gewohnte Zugluft.


County Antrim


Wir trauten uns nach Belfast. Vierspurig ging es auf die Stadt zu, Nord- und Südtangente zweigten ab, wir sahen Glastürme im Zentrum. Belfast wirkt großstädtisch, obwohl es deutlich weniger Einwohner als Dublin hat. Schon fuhr ein Panzerwagen der Polizei neben uns, Gummimäntel schliffen auf der Fahrbahn und verhinderten dass etwas unter das Fahrzeug rollen konnte. 
Wir hielten auf die City zu und parkten. Ein Wagen fuhr langsam vorbei. Sie schauten raus, funkten etwas. Wir sahen hinein, sahen kugelsichere Westen und Funkgeräte. Man hatte uns im Blick. Die Zwischenräume zwischen den Häusern waren mit Stacheldraht versperrt, die Scharfschützen auf den Dächern sahen wir nicht. Eine Miniatur von Big Ben stand hier, Polizei an jeder zweiten Ecke, MPi am Mann.


Polizist vor Panzerwagen

Wir wollten unser letztes Geld verjubeln. In einem Café waren Geschäftsleute zur Mittagspause. Wir legten das Geld auf den Tresen, mehr ging nicht. Irische Pfund akzeptierten sie nicht, es war „Monopoly-Money“, also Spielgeld. Es reichte für Kaffee und zwei Stück Gebäck.
Wir verließen Belfast und wenig später Nordirland. In Newry staute sich der Verkehr, wir mussten an einem Fahrzeug der Armee vorbei. Der Schütze beobachtete alle Fahrzeuge durch das Fadenkreuz auf seinem MG. Hier noch vorbei, und wir waren raus. Keine Grenze, kein Schild; die Gästehäuser trugen ein Kleeblatt-Emblem, das Ortsschild von Omeath verriet uns, dass wir zurück in der Republik waren. Durchschnaufen.




Hier sind große Megelith-Anlagen erhalten geblieben, wie etwa die Anlage von Newgrange.
Ein ruhiger Ausklang einer aufregenden Rundfahrt.

Nachtrag: Am 31. August 1994, zwei Wochen später, erklärte die IRA den (ersten) Waffenstillstand.

Wir hatten es geschafft, in zwei Wochen ein mal ganz herum zu fahren, dabei viele Facetten einer sagenhaft schönen Insel zu sehen. Die Leute waren sehr familiär und gastfreundlich, bodenständig und kunstsinnig. Trotz schlechter Wirtschaftslage hatten sie sich viel Lebensfreude bewahrt.

Freitag, 6. April 2012

Retro-Reisebericht Rumänien 1996

„Wer will mit nach Rumänien?“ Der damalige Freund meiner Schwester wollte seinen Bruder besuchen, der dort hängenblieb. Kurz vor Ostern, im April 1996, ging es los, mit seinem alten Celica.

Nach der ungarischen Grenze war erstmal mampfen angesagt: Pizza 3 DM (mit Ketchup statt Tomate) und Cola für 50 Pfennig - daran kann man einfach nicht vorbeifahren. Viele Österreicher kamen hierher; der Service war deutschsprachig und korrekt, die Kellner trugen Fliege.
Auf der gebührenpflichtigen, nagelneuen Autobahn ging es flott voran, so fuhren wir in die Nacht.

Mit Bargeld und viel Geduld durchs Niemandsland

Der nächste Grenzübertritt war aufwändiger. Wir hielten vor einer Schranke, gaben unsere Ausweise ab. Eine Viertelstunde später, als ein Dutzend Autos wartete, kam der Zöllner an unser Auto, schlug die Pässe auf, rief den jeweiligen Vornamen und schaute wer sich meldet. Damit konnten wir Ungarn verlassen und ins Niemandsland fahren.
Dort standen wir lange. Wegen Straßenschäden wurden beide Richtungen auf einer Seite abgewickelt, LKW rangierten, es war eng und mühsam. Nach Mitternacht, nach 14h Fahrt, waren wir bis in die Nähe des Visa-Häuschens vorgedrungen. „Visum 50 DM“ stand auf dem handgeschriebenen Zettel an der Bretterbude. Keine Lej, keine Forint, ohne Quittung - gegen Cash bekamen wir einen Stempel in den Reisepass. Zöllner klapperten die Autos ab. Kofferraum auf, die Zöllner nahmen sich vier Flaschen Bier aus dem Kasten (Eigenbedarf), alles klar Jungs. Nach Stunden im Niemandsland öffnete sich endlich, endlich, endlich die Schranke für uns. Wir waren in Rumänien!

Die Straße bestand mehr aus Löchern als aus Fahrbahn. Man musste pfiffig über alle Spuren eiern, doch irgendwann ging auch das. Es ging hier immerhin um Löcher, teils groß genug für das ganze Auto.
Am Morgen erreichten wir Timișoara, vormals Temeschwar oder Temeschburg. Es war eine schöne Stadt im Banat, in den im Mittelalter viele deutsche Siedler kamen. Deutsch waren nur noch die Trambahnen und deren Werbebanner. Bei uns ausrangiert, fuhren sie hier weiter. Die Altbaufassaden verrieten wie schön es früher hier aussah. Doch nun waren sie dunkelbraun verfärbt, bröselig, vieles baufällig.
Marcus fand die Wohnung und parkte zur Sicherheit im Innenhof. Die Familie des Luftwaffengenerals empfing uns sehr herzlich und gab uns Frühstück. Marcus‘ Bruder war mit ihrer Tochter zusammen, wohnte hier und übersetzte. Nichts in der Wohnung deutete auf eine gehobene Stellung beim Militär hin. Frühstück heißt viel Weißbrot, Käse, Wurst, Eier. Der Kaffee war überall gut, lehnte sich an italienische Zubereitungsmethoden an. Danach trinkt man einen Schnaps, so ist das üblich. Er desinfinziert und bewahrt die Gesundheit. Wir hielten uns daran, uns fehlte nichts.



Mangels Platz wurden wir im Hotel einquartiert. Zeit zu schlafen und sich umzusehen. Tagsüber wurde es richtig warm. Architektonisch gehört die Stadt zu Mitteleuropa, war ein Schmuckstück, viele Häuser sind noch in sog. „Schönbrunner Gelb“, in Anlehnung an Wien als großes Vorbild. Dazwischen findet sich immer wieder eine neue Basilika - Rumänen sind orthodox. Sonnenbrille ist wichtig, Frauen in Petticoats und kurzen Röcken erinnern an alte italienische Filme. Dazwischen liefen Roma und Straßenkinder, schnorrten Kleingeld. Rumänen raten sie zu ignorieren. Doch für ein Foto muss man eben stehenbleiben. Gibt man Geld, bleiben sie, denn man hat ja mehr. Es dauerte eine Weile, bis wir die ständige Bettelei zumindest halbwegs ignorieren konnten. Allen zu helfen ist leider schlicht unmöglich.
Am Eck standen zwei Polizisten, mit kugelsicherer Weste, MPi umgehängt, und natürlich Sonnenbrille.

Schönbrunner Gelb
Piața Unirii



Eingekauft wurde auf dem Markt. An überdachten Tischreihen aus Beton breiteten Bauern ihre Ware am Markttag aus.
Es herrschte reger Betrieb, man schob sich durch die Reihen und verglich. Ich hörte ein Rufen und sah nicht gleich woher es kam. Am Boden stakte ein Romamädchen auf allen Vieren. Der Anblick erschreckte uns. Systematisch hatten ihr die Eltern Arme und Beine gebrochen. Ihre Füße schauten nach vorne, die Ellenbogen nach aussen, also genau verkehrt herum. So konnte sie auf allen Vieren gehen - und zwar nur so -, sah mitleiderregend aus und konnte besser betteln. Für Humanisten wie uns ein Gräuel, wie man Kindern so etwas Grausames antun kann.

Supermärkte waren selten und teuer, doch wir fanden einen. Zwei Türsteher wachten davor, in schwarzen Anzügen und, natürlich: Sonnenbrille. Drinnen gab es deutsche und griechische Importware in einem Eckladen, groß wie eine Bäckerei bei uns.

Der Drogenhandel im Café läuft (wie) geschmiert

Wir gingen Kaffee trinken, im vornehmen Opera Café. Das einzige in das man gehen kann, sagte man uns. Es gab guten Kaffee oder einheimisches Bier nach deutscher Brauart, im Halbliterglas („O Bere Halba“). Ein Wachmann ging herum und sah nach dem Rechten.
Zwei Tische weiter saß eine Romafamilie. Vater gab der zehnköpfigen Familie eine Runde Sahnetorte aus (für Rumänen kaum erschwinglich). Vater stolzierte um die Tafel, seine Gabel fiel zu Boden. Er ließ sich eine neue bringen. Sein Bauchumfang war beachtlich; er und seine Frau hatten außerdem ein „goldenes Lachen“, also mehrere Goldzähne.

Ein Typ mit Tasche kam rein, der Wachmann sah mal an den Plätzen im Freien nach dem Rechten. Der Typ setzte sich zu fünf Männern an den Tisch, packte aus, Tüten kreisten, sie drückten und rochen an den Tüten mit etwa einem Kilo weißen Inhalts. Der Wachmann hatte draußen alles im Blick. Zehn Minuten später war der Handel vorbei, der Typ packte die Reste und ging. Der Wachmann schlenderte wieder ins Innere.

So warm es tagsüber war, so kühl wurde es abends. Im geheizten Eingangsbereich unseres Hotels saßen etwa zehn Leute in der „Wärmestube“.
Zum Frühstück sahen wir durch die offene Tür die Dame der Telefonzentrale Kabel von Hand umstecken, um Telefonate weiterzuleiten. Leider schloss sich die Tür, bevor wir die Knipse holen konnten.
Überhaupt war ich vorsichtig mit fotografieren. Man outet sich als reicher Tourist, ist abgelenkt, der Griff in die Tasche wird erleichtert. So entging mir leider auch der Parklplatzeinweiser, schwarzhaarig mit rechtem Seitenscheitel, „Bärtchen“ und hektischem Gefuchtel á la „du parrrrkst hierrr rein“. Keiner interessierte sich für ihn.


Rumän.-orthodoxe Kathedrale der drei Hierarchien






Zeitreise aufs Land

Wir waren unterwegs aufs Land, Verwandtenbesuch. An einer kleinen Autowerkstatt hielten wir, der Celica verlor langsam Öl - ein Tribut an die Schlagloch-Rally. Ein alter Mann kramte in seinem Vorrat aus altem Brauchbaren, bastelte irgendetwas herum, machte einen wirren Eindruck. Als er das Kennzeichen sah, freute er sich und meinte in etwa: „Ihr Deitschn hebbt und nit vergesse!“ Donauschwaben bildeten bis 1944 die größte Volksgruppe der Stadt und eine große im sog. „Banat“.
Als wir das Dorf erreichten, waren wir ganz weit auf dem Land. Alle Wege waren ungeteert, man wirbelte viel Staub auf. Die Häuser hatten teils strohgedeckte Dächer, Putz bröckelte, mancher Giebel hing durch. Hühner, Hunde und alte Frauen im Kittel waren unterwegs. Trinkwasser kam aus dem Brunnen im Garten. Im Haus gab es nicht viel: Küche, Esstisch, Plastiktischdecke, Licht, Radio. Die Wände waren blaugrau gestrichen. Für uns war es wie eine Zeitreise, obwohl wir gerade mal eine knappe Stunde unterwegs waren. Die meisten Jungen waren abgewandert. Doch die Alten waren glücklich, kannten es ja nicht anders. Ich verschenkte spontan meinen Rasierer mit Klingen, nachdem das dort wohl Mangelware war und große Begeisterung auslöste. Einer der Alten fing gleich an mit der Rasur.
Zurück in der Stadt war unser Bierkasten schon leer. Am ersten Abend kamen Luftwaffen-Kollegen, machten sich einen gemütlichen Abend. Wenn einer etwas hatte, wurde geteilt.





Ausflug nach Transilvanien

Tags darauf brachen wir auf nach Cluj-Napoca (sprich: Kluhsch), in Transilvanien (Klausenburg, in Siebenbürgen). Die Fahrt dauerte etwa vier Stunden (wir mussten also übernachten), ging meist über vierspurige Straße - zwei Spuren pro Richtung. Heißt praktisch: Man nutzte drei von vier Spuren, um trotz Schlaglöcher Tempo 100 zu halten. An einer Raststätte hielten wir. Neben der Straße war eine Meile mit etwa zehn Holzhäuschen, in denen gegrillt wurde. Viele LKW hielten hier.




Raststätte

Grill-Häuschen an der Raststätte




Cluj zeigte sich als stolze, herausgeputzte Stadt. Die Fassaden renoviert, geteerte Straßen ohne Löcher, keine Roma in den Straßen (sie waren an den Stadtrand verbannt). Junge Leute liefen in Jeans, Turnschuhen, Jeansjacken und ohne Sonnenbrille (!) herum, sprachen meist ungarisch. Vom sogenannten Szeklerland, im Zentrum Rumäniens, bis zur ungarischen Grenze, bilden sie eine große Minderheit. Neben orthodox sind viele Kirchen hier katholisch, die Türme erinnerten an Nürnberg oder Österreich. Siebenbürgen war auch von Deutschen besiedelt, ehe sie ab den 1970ern erleichtert ausreisen konnten. In einem Musikladen deckten wir uns mit Musikkassetten ein. Es gab alle angesagten Rockalben, als Graukopien auf Band, für umgerechnet 3 bis 5 DM.










Am nächsten Morgen ging es zurück, nach einer Zeit in Timișoara auch wieder heim. Im letzten Ort vor der Grenze war Stau. Ein Romajunge putzte unsere Windschutzscheibe. Ihm gaben wir unsere letzten Lej, er freute sich riesig. Da er nicht bettelte, gaben wir sie gern.

Zur Ehrenrettung muss ich anmerken, dass viele Romastämme das Betteln ablehnen und arbeiten wollen, das aber oft nicht dürfen. Die systematische Ausgrenzug der Roma (wie heute in Ungarn) verhindert natürlich eine Integration und löst keine Probleme.

Nach dem Niemandsland mussten wir in Ungarn einreisen. Vor der Schranke blieben wir stehen, mit zwei Dutzend anderer Autos. Die Zöllner rollten Bänke an, um unser Gepäck öffnen zu können. Spürhunde wurden herumgeführt. Wir sollten die Fenster runterkurbeln, die Türen wurden abgeklopft, ein Spiegel unter den Motorraum geschoben. Unsere Pässe wurden zuvor eingesammelt. Hier verläuft die sogenannte „Westroute“ für Menschen- und Drogenhandel. Offenbar machten sie das erfolgreich, die Österreicher winkten uns durch.

Für mich endete eine weitere unglaubliche Reise, auf der ich interessante Städte und herzliche Menschen kennenlernen durfte, und ein Land im Wandel sehen konnte.
Man darf nicht vergessen, dass das Land das schwere Erbe einer Diktatur anzutreten hatte und bis heute mit vielen Folgen zu kämpfen hat. Ich begrüße den Beitritt zur EU, wünsche dem Land eine kraftvolle Entwicklung und freue mich, eines Tages den Wandel sehen und das Land wieder besuchen zu können.