Dienstag, 1. Mai 2012

Reisebericht: Argentinien Teil 3/3

Retro-Reisebericht: Argentinien 2001
Teil 3: Dort wo der Gletscher kalbt, auf der Spur des Puma und weitere Bordercrosses.

Der Schnee in den Bergen war geschmolzen, der Grenzübertritt bekanntes Ritual. Später bogen wir ab nach Westen, zur Fähre in Porvenir. Der chilenische Teil Feuerlands sah nicht anders aus: Höfe mit Nummern auf dem Dach, weite Wiesen, kahle Hügel, die Gebäude verwittert, immer ein leichter Wind. In Porvenir war die Fähre schon weg, wir blieben über Nacht. In der Gomeria ließen wir einen Reifen flicken (etwa zum zehnten mal). Der Mechaniker arbeitete im Pulli, der ab und an den Rücken entblößte. Wir zogen unsere Jacken zu, der Wind kam kühl und unangenehm. Doch als Einheimischer war er das natürlich gewohnt.
Wir fanden eine Bleibe, es gab einen 4er-Schlafsaal für uns. Die Tapete schien aus den 1960ern zu sein. Am Kamin standen Ziegel aufrecht, um die Wärme zu speichern. Doch wir brauchten nicht heizen, es war ja Sommer.
Unten war es modern und gemütlich, es gab Häppchen, der Fernseher lief, die etwa 16-jährige Tochter freute sich über Abwechslung und fragte uns alles Mögliche. Sie trug bauchfrei, das war modern. Wir fühlten uns wohl, nahmen trotzdem Tags drauf die Fähre nach Puntas Arenas.



Feuerland (Chile)

Plötzlich herrschte Betrieb im verschlafenen Ort, ein größeres Schiff kam und fuhr uns in einer knappen Stunde über die Magellanstraße. Ich trank solange einen Milchkaffee. Das ging so: Instant-Kaffee wird mit warmer Milch aufgerührt, fertig ist der Cafe con Leche.

Wir waren zurück in Patagonien, im chilenischen Teil. Es war grün und bergig, Bäume und Blumen wuchsen, wilde Guanakos und Gauchos kreuzten unseren Weg. Die Leute waren herzlich und freundlich, die Häuser litten allerdings an früherer Mangelwirtschaft. Die Zeiten als Außenposten des Sozialsimus und die der Militärdiktatur gingen nicht spurlos vorüber.

Tankstelle
Gaucho!

Nandus und Guanakos

Der Nationalpark Torres del Paine ist schon atemberaubend. Nicht wegen der Höhenluft, sondern wegen der Ausblicke. Schneebedeckte und vergletscherte Berge ragen majestätisch auf, Seen und Flüsse leuchten azurblau. Solche Landschaften laden ein, sie aus dem Klappstuhl zu betrachten.
Es gab so etwas wie ein Matratzenheim, in dem wir blieben, wo der Wind durch undichte Fenster und Türen kam und ging. Doch es lohnte sich hier Zeit zu verbringen.


Torres del Paine
  
Auf der Spur des Puma

Dennoch ging es weiter, auf die argentinische Seite, in den Wanderer-Ort El Chalten, am Fuße des Monte Fitzroy. Das gemütliche Backpacker-Hostel eignet sich als „Basislager“. Dort hingen auch Fotos vom Winter - das Haus war erkennbar, die Zufahrt nicht mehr, der Schnee begrub das ganze Tal. Wir wanderten die Berge hoch, pausierten am wilden Fluss, folgten der „Spur des Pumas“ (woher kam sonst das Skelett in Größe eines Pferdes?), machten tolle Fotos vom Fitzroy, der sich zur Abwechslung nicht in den Wolken versteckte, spürten aber auch den kühlen Hauch der Gletscherwelt.
Abends in einem kleinen Gasthaus gab es hausgemachtes Schwarzbier, der Chef war Brauer aus Tschechien. München kannte er, dort hatte er gearbeitet in den frühen 1950ern - wollte wissen, ob es noch Trümmer gab, oder die Stadt wiederaufgebaut war.


Monte Fitzroy


Die Spur des Puma

Auf Schotterstraßen ging es weiter, hinunter zum Fuße der Anden, wo es sichtlich trockener war als in den Bergen, und weiter nach Norden. Die Trucker zogen lange Staubfahnen hinter sich her, waren aber schlau genug, bei Ostwind auf die linke Spur auszuweichen, so dass wir auf der „Luv-Seite“ staubfrei überholen konnten, während der Staub nach links wehte. So viel zur Verkehrsdichte am Fuße der südlichen Anden.

Dort wo der Gletscher kalbt

Am Lago Argentino, es ging wieder hoch, sieht man den Gletscher Perito Moreno. Auf Bretterwegen geht es den Hang hinab, man sucht sich einen Platz und wartet. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees schiebt sich die Gletscherzunge auf den See. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein überhängendes Stück herabfällt und in den See kracht. Der Klang kommt zeitversetzt an. So nah und bequem sieht man einen Gletscher selten.


Gletscher Perito Moreno

Die relative Nähe zur Antarktis spürten wir immer wieder. Der Wind konnte richtige Kühle bringen. Die Gletscher liegen hier auch vergleichsweise tief, auf 2000 Höhenmetern oder gar weniger. Das Gletschergebiet der südamerikanischen Anden ist das drittgrößte (nach Antarktis und Grönland), der Perito Moreno ist einer der wenigen, der noch wächst.

Der Rückweg ging wieder nach unten, die Gegend wurde zusehends trockener, bis wir wieder in der Steppe waren. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die „Cueva de los manos“, die „Höhle der Hände“, in denen Steinzeitmenschen Tiere, Jagdszenen und v.a. ihre Hand-Negative an Felswände malten. Das trockene Klima konservierte sie.


Cueva de los manos



Die Gegend im westlichen Patagonien war sehr trocken und eintönig, bestand manchmal nur aus „Oben und Unten“. Unten: Staub, Geröll und flache Pflanzen; Oben: weiter, blauer Himmel.
Wir kamen zurück an den Atlantik, nach Comodoro Rivadavia, unserer unfreiwilligen Drehscheibe. Unser Aufenthalt war kürzer als gedacht. Gepäck deponieren, zum Flughafen fahren und einen Flug buchen, Auto abgeben, Gepäck auflesen und noch am selben Abend nach Buenos Aires zurückfliegen.

Abends um halb zwölf landeten wir am Flughafen Ezeiza (für Inlandsflüge). Dort herrschte reges Treiben, Angehörige abholen oder abfliegen, jeder hatte es wichtig, es ging hoch her.  Zurück im Hochsommer, mit freier Zeit.

Tigre: Knatternde Motorboote als ÖPNV

Ein Ausflug führte uns nach Tigre, einem Vorort von Bs.As., im Mündungsgebiet des Rio Paraná in den Rio de la Plata, wo VW und Ford ihr Werk haben, oder die Schönen und Reichen ihr Wochenendhaus inkl. Bootsanleger in sog. „Country Clubs“ haben. Der ÖPNV besteht hier aus knatternden Motorbooten, die Schüler zur Schule und Touristen wie uns nach Irgendwo bringen. Eingewachsen zwischen hohen Palmen und Büschen fanden wir alte Häuser, die an Onkel Toms Hütte erinnern. Und mitten in der Welt der Wasserstraßen standen alte Zapfsäulen für Motorboote.






Uruguay: im Land der Oldtimer

Der zweite Tagesausflug brachte uns nach Uruguay, ins alte Städtchen Colonia del Sacramiento, auf der anderen Seite des Rio de la Plata. Wir bekamen einen Stempel in den Pass. Kioskwärter tranken entspannt Mate aus dem bauchigen Pott, Autos bremsten und ließen uns passieren (in Bs.As. unüblich). Uruguay ist ein Paradies für Autoliebhaber - wegen hoher Einfuhrabgaben werden Oldtimer in Schuss gehalten. Der entspannende Lebensstil steckte uns an, wir schlenderten langsam oder dösten im Freien, bis die Rückfahrt anstand.






Hinter uns lag eine Tour mit über 4000 km im Auto, 2 Mietautos, 3 Ländern, fast 30° Temperaturschwankung, unglaublich vielen Eindrücken. In diesen 4 Wochen sahen wir viele Facetten eines großen Landes, wurden freundlich und herzlich behandelt, fanden viel Optimismus und Lebensfreude, in einem krisengeschüttelten Land. Doch es würde immer irgendwie gehen - diese Einstellung wollten wir mitnehmen.

Auf dem Madrider Flughafen fühlten wir uns wieder daheim. Kein Formular ausfüllen, einfach einreisen. Und von Madrid kommt man immer irgendwie heim, was konnte jetzt noch passieren? Wir waren ja wieder zuhause, in Europa.


Nachträge:
Ende 2001 verschärfte sich die Krise. Banken gaben kaum noch Bargeld aus, Geschäfte wurden geplündert, Präsident De la Rúa floh per Hubschrauber.
Aerolineas Argentinas stand im Frühjahr 2001 kurz vor dem Aus
2002: Andy und Tamara heiraten, bekommen 2 Töchter
2004: Claus geht auf Weltreise (www.slothtour.de)
2011 und 2012: argentinische Künstler stellen Werke in der Galerie Kunstvoll in Höhenkirchen-Siegertsbrunn aus
Eine Co-Produktion für die Münchner Kunstarkaden wurde leider abgelehnt.
Alle Fotos entstanden analog, ohne Effekte.

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