Samstag, 28. Juli 2012

Kolumne über Diplomatie


"Kolumne über Diplomatie"

mein Beitrag zum  Jazz- und Literatur-Abend "MODERNE ZEITEN" (15.06.2012, Galerie Kunstvoll, Höhenkirchen-Siegertsbrunn)
--------------------------------------------------------



Hach, was waren das für Zeiten früher, als es noch Originale und Charaktere gab! Knödelschleuder gegen Tiefflieger, Verbalattacken von Politikern, Kniefall vor Opfern - das war ein Programm!

Heute führt so etwas in Behandlung, oder (schlimmer noch) in Umfragetiefs. Man verhält sich politisch korrekt, oder taucht ab.
Sie glauben mir nicht? Kommen Sie mit!
Wir beginnen die Recherche in den Alpen.

Auf einem Berghof treffe ich die Sennerin Apollonia. Sie ist 23 - und freiwillig hier.
„Auf der Alm kann man so sein, wie man ist“, behauptet sie.
„Man kann singen und springen, wenn einem danach zumute ist. Den Tieren Dinge erzählen, die einen beschäftigen. Aus dem Fenster schauen und träumen. Oder einfach faul herumliegen. Das Entscheidende ist: man muss es vor niemandem rechtfertigen.“
Das hat man mir auch so beigebracht, früher, in der Schule. Jeder kann nach seinem Geschmack leben, solange er damit die Anderen nicht stört.
Im Spätsommer, zum Almabtrieb, ist es vorbei mit der Unbeschwertheit. Das Leben in der Zivilisation steht wieder an.
Versuchen Sie mal zu singen, wenn ihnen danach zumute ist. Im Bus, im Büro, vor dem Fernseher. Man hielte Sie für verrückt - weil man das macht, das einem gut tut. 
Will man sich diese Blöße nicht geben, verhält man sich besser diplomatisch. Wie das geht? Ich zeige es Ihnen.

(MUSIK)

Auf einer Geburtstagsfeier kommt man ja mit den unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch.
Also höre ich mir an, wo der Schuh drückt – und bekunde Verständnis.
Der A graust es vor der neuen Arbeitswoche, weil sie lieber im Bett bleiben möchte. Geht mir auch so.
Der B lebt für seinen Beruf als Automechaniker. Mit ihm rede ich über Motoren, Federungen und Reifen.
Die C hört gern volkstümliche Musik. Die jungen Leute haben ja nichts Gemütliches mehr, bedauert sie. Ich gebe ihr recht, dass sich die Zeiten sehr gewandelt haben.
Der D ist genervt, weil seine Freundin nölt. Und nervige Frauen sind eine Zumutung – da sind wir uns einig.
Die E entsetzt sich, weil ihr Freund nie im Haushalt hilft. Ich spüle ab und putze das Bad. Das hört sie gern.
Meine Antworten über Musikstile, oder die Aufgebenverteilung im Haushalt, trafen nicht auf Gehör. Die Partygäste sprachen keine Aufforderung zum Meinungsaustausch aus, sondern wollten einseitig etwas loszuwerden. Das muss aber unter uns bleiben!

(MUSIK)

Ich beginne mich zu verabschieden. Lebhaft erkundigt man sich nach einem Wiedersehen. Menschen die zuhören, sind selten.
Diplomatisch antworte ich mit „vielleicht, mal schauen“, und mache mich auf.
Das wäre überstanden.

Auf keinen Fall werde ich morgen dort erscheinen. Nach fünf Stunden Sorgen Anderer anhören, brauche ich morgen auch Zeit für mich.

Vielleicht gehe ich auf eine Alm. Welchen Unterschied macht es schon, ob ich in einer vereinsamten Gesellschaft lebe, oder allein in den Bergen? Und ob man wirklich nach seinen Interessen und Vorlieben leben kann – vielleicht habe ich wieder etwas nicht so ganz verstanden – früher, in der Schule.


Keine Kommentare: