Sonntag, 1. Dezember 2013

Rezension "Wider Deinen Nächsten"

Die Wortlaterne ist ja immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Büchern. Und des öfteren findet sie echte Perlen, auch abseits der ausgetretenen Wege. 
In loser Folge möchte ich ein paar Bücher vorstellen, die es wert sind gelesen zu werden. 

Wie dieses hier: 

Hans Montag
"Wider Deinen Nächsten"

ISBN: 978-3-86937-382-9













Die DDR ist ja durchaus wieder „hip“. Im Zuge einer süßlichen Retro-Welle machen wir uns die Welt, wie sie uns gefällt…

Und dann kommt Hans Montag. Am Leben einer Kleinfamilie im thüringischen Eichsfeld zeigt er uns, wie es wirklich war.

Im Mittelpunkt dieser charmanten und packenden Erzählung steht Luise, junge Mutter und „Coach“ der Familie.
Zwar denkt sie öfters an ihre Jugendliebe, einst bester Freund ihres Mannes – und zwischenzeitlich im Priesterseminar. Deswegen legt sich ihr Gatte beruflich ins Zeug, will zeigen, dass er die bessere Wahl war. Und dazu greift er sogar auf die Hilfe der Stasi zurück.
All das gestehen sich die Eheleute sogar ein, suchen gemeinsam nach Auswegen. Nur leider ist das hier kein süßlicher Retro-Kitsch, sondern das echte Leben. Das Drama nimmt also Fahrt auf, die schiefe Ebene kippt immer mehr, bis sich alles überschlägt.

Stützpfeiler der jungen Mutter sind nicht nur die bezaubernde Tochter, sondern auch ihre Mutter, der katholische Prior und die Religion selbst. Das klingt reaktionär – aber so war es früher eben.

Kontrapunkt bietet hier der Bruder aus dem Westen, der seine kath. Erziehung allmählich vergisst. Immerhin sind wir im Jahr 1983.
Eingestreut werden Details der Zeit. Der Bruder muss zum Zwangsumtausch (Geld), der „neuerdings“ auch am Wochenende möglich ist. Außerdem zahlt er horrende Zollabgaben an der Grenze.
Der VEB des Gatten produziert mit Hochdruck für den Export in den Westen. Allen wird klar: die DDR ist pleite.
Besuche von und bei der Mutter sind nur mit Passierschein möglich. Sie wohnt im 5 km-Streifen vor der Grenze.

Sehr anschaulich geschildert ist auch der Verfall des Ehemannes, und wie schwer es ihm fällt, über Probleme zu reden.
Die junge Frau macht sich dafür umso mehr Vorwürfe – möchte alles und jeden retten, kann es jedoch nicht.

Es steckt also wahnsinnig viel in diesen 290 Seiten, die ich (entgegen meiner Gewohnheit) verschlungen habe.
Überflogen hatte ich nur kurze Stellen – wenn Dialoge, z.B. am Esstisch, banal wurden.

Wer sich ein wenig für die Welt, deren Geschichte und seine Mitmenschen interessiert, sollte diesem Werk unbedingt eine Chance geben. Es hallt noch ganz, ganz lange nach …

Und Retro? Ach, Retro – das können auch die Anderen …








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