Sonntag, 24. März 2013

Retro-Reisebericht Paris 2005

Retro-Reisebericht Paris 2005
(Kultur-Tor-Tour)



Stadt der Liebe, schmuddeligen Hotels, Feinschmecker und Lebenskünstler? Genau!
    Zwischen Nord- und Ostbahnhof (in der nordöstlichen Cité) liefen gerade mehr Schwarze als Weiße herum. Von ihnen kann man sich eine ruhig-entspannte Lebenshaltung abschauen.
Das Hostel empfing uns mit einem gemütlichen Kneipenraum. Das Doppelzimmer bestand aus einem Stockbett. Ein WC und eine Dusche (kaltes Wasser aus dem Schlauch) mussten fürs Stockwerk (ca. 40 Personen) reichen. In der Küche wollten ab 18:00 alle an eine der beiden Herdplatten (deshalb kochten wir vorab). Das war damals unser Budget (DZ 50€). Eine gepflegte Unterkunft ist in Paris einfach eine Frage des Preises.

Bonjour Tristesse?

Am nächsten Morgen, um 08:45, standen wir vor dem Louvre. Die Warteschlange bestand aus 5 Leuten, 2 davon wir. Vor uns: ein älteres amerikanisches Paar. Hinter uns: eine amerik. Einzelreisende. Sie hörte uns reden: irgendwas Europäisches. Sie hörte das Paar, bat dieses um ein Foto von sich, schon waren sie im Gespräch - und zwar: über unsere Köpfe hinweg, uns ignorierend. Wo sind sie her, wo sind die Irish Pubs?
Hätte uns einer der 3 beachtet, hätten wir sie vorgelassen. Aber so? Tja.

Amerikaner kommen gerne nach Paris, für sie ist es der Inbegriff von Europa. Doch viele verhalten sich dann anders, als wir es erwarten. Dann folgt ein Kulturschock


Im Hostel kochte übrigens ein Kanadier (in "Holzfällerhemd") neben uns. Er verhielt sich keinen Deut anders als die Europäer. (Der Rezeptionist erzählte uns von Amerikanern, die gern unter sich blieben - und Kanadiern, die sich wie wir verhielten). Nach Deutschland wolle er auch fahren. Was er sich da anschaut? Köln, München, Dresden, Berlin. 




Der Louvre ist das größte Kunstmuseum der Welt, mit vielen Exponaten der Ägypter, Ptolemäer, Etrusker, Assyrer, Perser, Babylonier, und noch vieles, vieles mehr.
Man kann den ganzen Tag dort zubringen (inkl. essen), und das taten wir auch. Danach brauchten wir nicht mehr viel, aber das war es absolut wert. 



Stadt der Liebe ...

Zedern aus dem Libanon auf dem Wasser transportieren (assyrisch)

assyrisch


In der Früh wurden wir von der Müllabfuhr geweckt, die jeden Tag (auch sonntags!) um 07:00 Uhr Früh kam. Mülltrennung war damals noch ein Fremdwort, und die Tonnen abends schon wieder voll.

Die „Zuckerbäckerkirche“ von Sacre Coeur, aus den 1870ern, lockt Touristen magisch auf den Hügel in Montmartre. Klar dass Jugendgruppen davor herumlaufen und lustige Spiele machen. Dieses hieß wohl „Fotomodels sammeln“ . Sobald jemand, meist die Frau, vor der Kirche fürs Foto posierte, kamen 3-4 Jungs angerannt, knieten sich mit Knipse hin und feuerten sie an (hieß wohl: gib alles! o.ä.).
Als wir uns genug amüsiert hatten, gingen wir durch die Kirche und erwischten die Abendandacht. Zum Gesang der Nonnen wandelten wir auf und ab.

Wer lieber alte Kirchen mag, vorzugsweise Gotik, ist in Paris richtig.
Im Vorort St Denis, einem Banlieu, steht „Der Prototyp“. Auch wenn sie von außen nach Romanik oder einer Burg aussieht, innen ist die Kathedrale von St Denis der erste gotische Bau. (Die Normannen fordern diesen Titel ebenfalls für sich). Abt Suger setzte beim Umbau auf die neue Gotik, das war in den 1130ern (bei uns noch tiefste Romanik!). Im Keller (6€ Eintritt) liegen alle franz. Könige begraben, der Kirchenraum ist gratis.
Anmerkung: bis zum 12. Jh. „recycelte“ man gerne, d.h. man baute neue Kirchen auf die Mauern der alten. Erst danach ging man dazu über, von Grund auf neu zu bauen (steigender allgemeiner Wohlstand?). 


außen: Romanik? Eine Burg?

innen: Gotik



Die Saint Chapel darf genausowenig fehlen. In der Früh (09:00) da sein lohnt sich. Auf der Île de la Cité, wo es aussieht wie eine Burg (Palais de la Cité, an der Westspitze) dem Schild folgen. In den ausgemalten Unterbau, der fürs Volk war. Dort die enge Treppe hoch, in den königlichen Bereich. Aus der Burg kam der König mit Gefolge hier in die Kapelle. Sie ist ein gotischer Raum, hoch aufragend und mit bunten Fenstern - allerdings o-h-n-e Seitenschiffe, heißt: ein Raum ohne Säulengänge. Also hinsetzen und schauen. Die bunten Fenster (zumn Großteil noch original) laufen rundum, Decke und Säulen sind bunt (dunkelblau und purpur) bemalt. In der Früh ist es noch ruhig, und entsprechend angenehm.




Über den Blumenmarkt kommt man ans Westende der Insel, zu Notre Dame, einem der ersten gotischen Neubauten (ab 1160er). Auch wenn viele Touristen nur Fotos der Hauptfassade machen, sollte man sich die Zeit nehmen, und einmal ins Innere schauen (der Eintritt ist frei), und auch ein mal herum, um z.B. das mächtige Strebewerk zu bestaunen. (Experten rätseln, ob diese Technik hier erfunden wurde).
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Einschub Gotik: Die Normannen behaupten selbstsicher, die Gotik erfunden zu haben. Sie hoben das Gewölbe, um mehr Platz für Fenster zu haben, damit es innen angenehm hell wird (!).
Welch Gegensatz zur Schullehre, dass es um himmelstrebende Architektur ging, die einen klein und unbedeutend erscheinen lassen soll.
Am Mont St Michel behaupten sie ebenfalls, als erste gotisch gebaut zu haben.
Doch Abt Suger (St Denis) bekommt von Historikern die Ehre zugesprochen, ob nun abgeschaut oder nicht, als erster eine ganze Kirche durchgängig damit erbauen zu lassen.
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Zur Kaffeepause waren wir meist in einer „Bar Tabac“. Dort gibt es Kaffee, kühle Getränke, oft Zigaretten und Briefmarken zum Kauf. (Cafe Creme 2-3 €)
Abseits der Hot Spots kann man auch in eins der vielen alten Cafes gehen, für seinen Cafe Creme (groß oder klein).
Wer auffälligem Belle-Epoque-Chic, und/oder dem Schild „Capuccino only 5€“ folgt, ist selbst schuld. 




Damit nicht genug an Kultur. „Schließlich sind wir nicht zum Spaß hier“, so der Running Gag.
Im Musse D‘Orsay hängen die Impressionisten, also deren Bilder, in einem alten Bahnhof. Das macht Laune, ist nicht so aufwendig und man ist in 1-2h durch. Das grüne Stahlgerüst der Halle passt gut dazu. Für mich ist es eines der besten Museen überhaupt. 




Das Museum Guimet zeigt eine beeindruckende Sammlung ostasiatischer Kunst, mit vielen Exponaten aus Südostasien (vieles aus Kambodscha) und China.

Das Marais ist das arabisch-jüdische Viertel. Die Moschee von 1923 vermittelt Orient-Flair, im Viertel sieht man viele Juden (mit Bart und Hut) und kann koscher essen und einkaufen.

„Outdoor“ gefällig? Der Friedhof Père Lachaise ist eine riesige Anlage, mit alten Steinen und Gruften und Gräbern vieler Prominenter, man kann endlos schlendern. Ein Ort hier zieht Rocker und Hippies magisch an: Das Grab von Jim Morrison. 




Die Grufties findet man im Souvenir-Shop der Katakomben. Als die Pest wütete, brachten Mönche die Knochen der Verstorbenen nach unten, in ein Tunnelsystem. Immer wieder sieht man Stapel von Knochen, mit Schädeln dekoriert. 



An der Bastille hängen übrigens die Punks ab, auf der Treppe des Bastille-Theaters, von aussen eine moderne „Blechdose“.

In der Bar quer über „unsere“ Straße endete nach 5 Tagen unsere Kultur-Tor-Tour. Ein Schwarzer rief uns auf dem Weg irgendeinen Witz zu. Franzosen sind ein lustiges Volk (aber schwer zu verstehen). Ein (gebohrtes) Loch im Fenster brachte Luftaustausch, wir waren in etwa die einzigen Fremden, aber gut aufgehoben.

Blieb noch ein Spaziergang durch den Regen, am Fuße des Montmarte. In einem der Sex-Shops wurden Szenen für „Die wunderbare Welt der Amelie“ gedreht (ein kleines Schild weist darauf hin), die Lichter des Moulin Rouge spiegeln sich in den Pfützen, Reisebusse bringen die nächsten Touristen.

Den Charme der Belle-Epoque muss man in Paris nicht suchen. Wer mit offenen Augen herumläuft, findet alles, und noch viel mehr. 





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Trivia: Die Idee zu „Grusel Fusel“ entstand hier. Die Kurzgeschichte war ab 2007 ein erster Achtungserfolg. Gibt es (gratis) hier zu lesen:
http://www.flosenart.de/wortlaterne/index.php?section=leseproben&projid=1&lpid=34

http://leuchtfeder.de/gruselfusel.html


Der Schriftsteller Ödön von Horvath kam 1938
durch einen herabstürzenden Ast, während eines Gewitters, auf dem Champs Élysées ums Leben. Eine Tafel erinnert an ihn.

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Paris für Selbermacher:

Hinkommen: per Flugzeug oder Bahn. Vom Flughafen Charles-de-Gaulle gute Zugverbindung (RER) ins Zentrum, alternativ Flughafenbus zum Arc de Triomphe (und dort in die Metro).
Mit dem Auto: rate ich ab. Zu viel Verkehr, zu wenig Parkplätze.

Herumkommen: mit der Metro, keine Frage.

Unterkommen: online buchen, und die Ansprüche herunterschrauben. Aber ganz ehrlich: in Paris hockt man nicht in der Bude, sondern schläft dort nur.
Wer es gepflegt mag: ab ca. 100 EUR pro Nacht


Zelten: großer Platz im Bois de Boulogne. Dort aber auch zwielichtige Gestalten (so heißt es), und mangelnde Sicherheit (z.B. bzgl. Diebstahl).

Zeitrahmen: wir blieben 5 Tage. Die reichen nicht für Alles. Doch irgendwann ist man nicht mehr aufnahmefähig. 5-6 Tage finden wir optimal.

Sprachlich: einfach etwas franz. aneignen, wie: Guten Tag, bitte, danke, die Rechnung bitte, ich spreche kein französisch, entschuldigen Sie bitte, sprechen Sie englisch?, vielen Dank, auf Wiedersehen.
Dann sollte einer Verständigung auf englisch nichts mehr im Wege stehen.

Bitte: nicht auf englisch beginnen, das mag Manchem ignorant erscheinen. Einfach auf französisch etwas stammeln, hauptsächlich dass man die Sprache nicht kann, sich aber immerhin etwas Mühe gibt.

Vorurteile: Leider ist das Vorurteil noch sehr verbreitet, Franzosen mögen uns nicht, man wird nicht bedient etc. Alles Käse!
Mein Lieblingsnachbar meinte: sie haben ein Bild vom Deutschen im Kopf - ein reicher Sack kommt mit dickem Auto, will nur das Beste, ist aber nie zufrieden und beschwert sich noch.
Wenn man jung und/oder unkompliziert ist, sich des Lebens freuen und lachen kann, hat man nie Probleme.
Nach ca. 10 Frankreich-Reisen kann ich das nur voll bestätigen. Wir hatten nie Probleme. Oft genug bot man uns englisch zur Verständigung an. 


Comics: Frankreich ist Comic-Nation Nr. 1 (mit Belgien). Bände sind aufwändiger gestaltet und wesentlich vielseitiger als bei uns. Comic-Shops gibt es folglich in jeder größeren Stadt, in Paris gibt es natürlich mehrere. Übersetzungen sind rar. Auch viele Figuren und andere Fan-Artikel. 

Fast-Food: im Norden Frankreichs gibt es überall "Flam" = Elsässer Flammkuchen (wie eine Pizza, aber mit Creme-Fraiche, Zwiebeln, Schinkenwürfeln, etc.   



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